Das Luzifer Evangelium
dass er Theologe war. Sein Spezialgebiet war mir nicht bekannt.«
»Wieso fragen Sie nach ihm?«
»Ich bin in Zusammenhang mit einer alten Handschrift auf seinen Namen gestoßen und hatte gehofft, dass er mir vielleicht weiterhelfen könnte.«
»Jetzt machen Sie mich neugierig. Was für eine Handschrift?«
»Im Oktober 1969 hat Nobile einen Artikel in der Rivista Teologica veröffentlicht. Darin ging es um einen apokryphen Text mit der Bezeichnung Luzifers Evangelium . Seine Argumentation lief darauf hinaus, dass dieser Text nicht existieren könne. Ich meinerseits versuche herauszufinden, ob ich im Besitz eines solchen Exemplars bin.«
Der Professor schnappte hörbar nach Luft.
»Wissen Sie etwas über diesen Text, Professor?«
»Habe ich richtig gehört, Sie besitzen ein Exemplar von Luzifers Evangelium ?«
»Möglicherweise. Falls es dieses Manuskript überhaupt gibt.« Ich ließ ein trockenes Lachen hören, auf das ich keine Reaktion bekam.
»Beltø, lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen: Könnten Sie, trotz ausgefüllter Arbeitstage, die Zeit erübrigen, mich hier in Rom zu besuchen?«
»In Rom? Ich verstehe nicht ganz?«
»Wir beide haben eine Menge zu bereden.«
»Haben wir das?«
»Unter vier Augen. Vertraulich.«
»Professor Lombardi, wie soll ich sagen … Ich befinde mich momentan in einer misslichen Lage. Mehrere meiner Kollegen wurden ermordet. Ich selber schwebe ebenfalls in Lebensgefahr.«
»Was sagen Sie da? Wegen der Handschrift?«
»Ich vermute es. Deshalb suche ich auch nach einem Ausweg aus dieser Situation.«
»Sie haben meine volle Unterstützung. Die Universität stellt Ihnen selbstverständlich eine Wohnung zur Verfügung. Gratis. Und übernimmt die gesamten Reisekosten. Unter den gegebenen Umständen können wir auch … ein gewisses Maß an Sicherheit garantieren.« Seine Stimme wurde vertraulich. »Wir werden auf Sie aufpassen, Bjørn.«
»Eine Reise nach Rom ist nicht so einfach zu bewerkstelligen.«
»Sie hätten großen Nutzen davon.«
»Aha?«
»Aber ich möchte am Telefon nicht mehr als nötig darüber reden.«
»Ich werde sehen, was sich organisieren lässt.«
»Es ist wichtig. Wichtiger, als Sie es sich vielleicht vorstellen können.«
»In welcher Weise?«
»Sagen Sie, kennen Sie das Bartholomäus-Evangelium?«
»Ich bin kein Theologe.«
»Bartholomäus war einer der zwölf Apostel Jesu. Er wird zwar bei Matthäus, Markus und Lukas und in den Taten der Apostel erwähnt, ansonsten aber schweigt sich die Bibel über ihn aus. Angeblich hat er ein Evangelium geschrieben, doch das ist verloren gegangen. Es finden sich jedoch Auszüge daraus in anderen Schriften aus jener Zeit wieder. Bartholomäus verweist unter anderem auf einen gewissen Salpsan. Kommt Ihnen der Name bekannt vor?«
»In keiner Weise.«
»Salpsan ist Satans Sohn.«
»Ich wusste gar nicht, dass Satan einen Sohn hatte.«
»Genau das ist des Pudels Kern!«
»Hat das was mit Giovanni Nobile oder Luzifers Evangelium zu tun?«
»Alles! Nobile war von der Handschrift, diesem heidnischen Evangelium, ebenso besessen wie von … seinen Dämonen.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Er starb.«
»Wie?«
»Die Polizei ging davon aus, dass er ermordet wurde. Oder Selbstmord begangen hat. Er hat mehrere Menschen wegen Luzifers Evangelium umgebracht. Das war 1970 einer der großen Kriminalfälle hier in Rom. Die Polizei war damals der Meinung, Nobile und seine Tochter wären ermordet und hinterher irgendwo verscharrt oder ins Meer geworfen worden. Wenn Nobile sich und seine Tochter nicht eigenhändig ins Jenseits befördert hat.«
»Und wie ging es weiter?«
»Gar nicht. Wie sollte es weitergehen? Das ist so lange her. Wir haben versucht zu vergessen. Niemand weiß, was damals tatsächlich geschehen ist, das ist die traurige Wahrheit, Herr Beltø, niemand weiß, was tatsächlich geschah.«
ROM, MAI 1970
Es war zehn vor zwei in der Nacht. Er hätte längst im Bett liegen sollen. Professor Giovanni Nobile biss ein wenig zu fest auf das Mundstück seiner Pfeife und inhalierte genussvoll. Durch den Tabaknebel betrachtete er das weiße Blatt. Seine Zeigefinger lagen wie zwei steife Stäbe auf den runden Tasten der Remington-Schreibmaschine. Dann tippte er so kräftig weiter, dass sich an mehreren Stellen die Buchstaben durch das Papier drückten.
Die Darstellung des Dämons Baphomet mit dem Ziegenkopf, Flügeln, Frauen Brüsten und Hörnern stammt aus Eliphas Levis Werk Dogme et Rituel e la Haute
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