Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
Hinweisschild: »Seniorenstift Waldesruh, 3 km.« Da er sich nicht erinnern konnte, in unmittelbarer Nachbarschaft des professoralen Hauses ein Altersheim gesehen zu haben, befand er sich offenbar immer noch auf dem falschen Weg. Als Auto fahrender Großstädter war er an gradlinige, gutbeschilderte Straßen gewöhnt und nicht an bessere Feldwege, die irgendwo im Nichts endeten.
Ein Seniorenstiftsbewohner, deutlich erkennbar an der gesunden Hautfarbe und dem geschulterten Spazierstock, erklärte ihm schließlich gestenreich, welchen Fehler er gemacht habe und wie er einen neuen vermeiden könne. Nachdem Florian sich endlich die beiden Abzweigungen eingeprägt hatte, die er auf keinen Fall verfehlen dürfte, kratzte sich der alte Herr am Kopf. »Sie können aber auch andersherum fahren. Wenn Sie jetzt rechts in Richtung Leimen abbiegen, kommen Sie gleich nach …«
»Vielen Dank, aber das kann ich mir nicht auch noch merken.«
»Dann sollten Sie vielleicht doch geradeaus weiterfahren. Im Heim ist gerade ein Platz freigeworden, da ist heute Nacht jemand gestorben.«
Solchermaßen moralisch aufgerüstet startete Florian den Wagen und bewältigte die letzte Etappe ohne weitere Schwierigkeiten. Als er vor dem frisch gestrichenen schmiedeeisernen Gartentor auf die Bremse trat, stand der Tageskilometerzähler auf 356, dabei hatte Fabian behauptet, die Entfernung von Tür zu Tür betrage nicht einmal ganz 300 Kilometer.
»Da bist du ja endlich! Wir hatten dich schon zum Mittagessen erwartet.«
»Ich habe im Stau gehangen – der übliche Wochenendverkehr«, log Florian unbekümmert, während er seinem Bruder die Hand schüttelte. »Schön, dich mal wiederzusehen, du siehst blendend aus.«
Nein, mit dem weltfremden und leicht vertrottelten Professor aus zahlreichen Karikaturen hatte Fabian nicht die geringste Ähnlichkeit. Man hätte ihn eher für das Vorstandsmitglied eines Industriekonzerns halten können, hätte sein Gesicht nicht jene durchgeistigte Stubenhockerblässe gezeigt, die Manager durch regelmäßige Besuche von Tennisplätzen und Solarien zu vermeiden suchen. Fabians sportliche Ambitionen erschöpften sich jedoch in gelegentlichen Spaziergängen über den Golfplatz, meist in Gesellschaft von Kollegen, mit denen er an der frischen Luft all die Probleme erörtern konnte, die nicht eine sofortige Demonstration am Objekt nötig machten und darum auch nicht im Institut diskutiert werden mussten. Da die Herren vor lauter Eifer oft vergaßen, zu welchem Zweck sie sich versammelt hatten, und mit ihrem Wägelchen schon am vierten Grün herumzogen, während die Bälle noch in der Nähe des zweiten lagen, konnte von einer Golfpartie im eigentlichen Sinn nicht die Rede sein und von sportlicher Aktivität schon gar nicht.
»Nun komm erst mal ins Haus. Ich glaube, Martha hat dein Mittagessen warm gestellt.«
Florian trabte unverzüglich in die Küche, wo er zuerst den Herd inspizierte und dann sein altes Kindermädchen umhalste. Er musste ihre Tränen trocknen, bevor er sie auf Armeslänge von sich schieben und gründlich betrachten konnte. Von den grauen, seit vierzig Jahren in adretten Treppchen ondulierten Haaren bis zur blütenweißen Schürze sah sie noch genauso aus, wie er sie beim letzten Besuch verlassen hatte. »Marthchen, du wirst von Mal zu Mal jünger!«
»Kann ich von dir nicht behaupten«, sagte sie mitleidlos. »Du siehst ziemlich mickrig aus, aber das kriegen wir schon wieder hin. Isst du immer noch so gerne Thüringer Klöße?«
»Noch lieber. Und dazu so einen richtigen Schweinebraten mit Schwarte und Rotkohl.«
»Das gibt es morgen. Heute hatten wir bloß Eintopf. Gelbe Erbsen mit Räucherspeck und Spargel.«
»Das ist ja mein zweites Lieblingsessen«, jubelte Florian. »Ist noch was übriggeblieben?«
»Ein ganzer Topf voll. Ich mache ihn gleich warm.«
»Die Hälfte davon genügt. Inzwischen sage ich Gisela guten Tag.«
Auf der Treppe nach oben lief ihm Rüdiger über den Weg, ein hochaufgeschossener Jüngling mit Nickelbrille, die dunkle Mähne in Öl eingelegt, unterm Arm einen Instrumentenkasten, im Gesicht die leidgeprüfte Duldermiene des ewig Unverstandenen. »Tach, Florian.«
»Tach, Rüdiger. Was ist denn mit dir los? Du siehst aus wie der Mann auf der Reklame für Abführpillen. Vor dem Gebrauch!«
Er grinste nicht mal. »Die Regierung hat angeordnet, dass ich heute Abend zu Hause bleibe. Jetzt muss ich die Jungs sitzen lassen, obwohl unsere Band einen Auftritt im Starlight
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