Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
diesen konservativen verstaubten Haushalt bringen sollten, und nun sah er sich einer Horde Verrückter gegenüber, gegen die seine Freunde von der Band die reinsten Waisenknaben waren. Wer, um alles in der Welt, war nun schon wieder Herr Schmitt, der Tennisschläger fraß und ein Aquarium brauchte?
Er öffnete die Tür zum Zimmer seiner Mutter, in dem Melanie ein kurzes Telefongespräch von gerade 19 Minuten Dauer führte, drückte entschlossen auf die Gabel und unterbrach den Protest seiner Schwester mit den Worten: »Du musst noch schnell ein Bett beziehen!«
»Warum? Und wie kommst du überhaupt dazu, so einfach mein Gespräch zu unter …«
»Da ist noch ein Herr Schmitt mitgekommen. Keine Ahnung, wer das ist, aber er hat eine Vorliebe für Tennisschläger und Aquarien.«
»Du has ja ’n Rad ab!«
»Sag das lieber deinem geschätzten Onkel.« Bevor er sich wieder den Koffern zuwandte, empfahl er: »Vielleicht beteiligst du dich auch mal an den Aufräumungsarbeiten. Und geh da ja nicht aufs Klo, sonst fällt dich die Bestie an!« Dann sah er aber Melanies Leinenrock und verbesserte sich. »Du hast nichts zu befürchten, sie steht bloß auf Jeans.«
Kaum hatte er die Koffer ein paar Schritte weitergeschleppt, als er sich vor ein neues Problem gestellt sah. Vor ihm stand ein schluchzendes Häufchen Unglück mit blonden Haaren, eine zerzauste Puppe an sich gedrückt, und jammerte: »Ich ha … hab’ mich verlau … laufen, ich w … will zu mein … meiner Mami.«
»Aber Julchen, deshalb weint man doch nicht gleich! Du bist schon so groß, viel größer als beim letzten Mal.« Er nahm seine Kusine auf den Arm und wischte mit seinem Ärmel ihr tränenverschmiertes Gesicht ab. »Kennst du mich nicht mehr? Ich bin doch der Rüdiger.«
Julia schüttelte den Kopf. »Will zu Onkel U-Bahn.«
»Der Urban ist heute nicht da, der muss Soldat spielen. Was willst du denn von ihm?«
»Er soll meine Puppe heilmachen. Die ist ganz einfach kaputtgegangen. Da, guck mal!« Sie hielt ihm das Spielzeug entgegen. Rüdiger untersuchte die Puppe von oben bis unten, konnte aber keinen Schaden feststellen. »Der fehlt doch gar nichts.«
»Doch, sie weint nicht mehr.«
»Dann sei doch froh.«
»Bin ich aber nich. Wenn sie nich mehr weint, kann ich sie auch nich’ mehr verhauen.« Erwartungsvoll sah sie ihn an. »Kannst du Susi wieder heil machen?«
Julias Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Cousins, defektes Spielzeug zu reparieren, war unbegrenzt. Besonders Urban hatte es ihr angetan, seitdem er nicht nur ihr Dreirad, sondern sogar den elektrischen Puppenherd wieder instand gesetzt hatte. Das hatte nicht mal Onkel Karsten geschafft, der ja auch schon eine ganze Menge konnte. Und nun gab es schon wieder einen neuen großen Onkel, sogar einen mit Brille, der war bestimmt ganz besonders klug.
Der kluge Onkel sah sich in einer verzwickten Lage. Einerseits hätte er gern die Gelegenheit benutzt, sich bei seiner niedlichen Kusine einen Stein ins Brett zu setzen, andererseits hatte er von Puppen und deren Innenleben nicht die geringste Ahnung. Seine Schwester hatte nie welche besessen, weil sie Plüschtiere bevorzugte und heute noch ein ganzes Sortiment herumsitzen hatte, und die Kindergartentante hatte ihn seinerzeit immer sofort in die »Bubenecke« geschickt, sobald er sich für Puppenstuben zu interessieren schien. Deshalb wollte er sich auch auf keine Experimente einlassen.
»Am besten gibst du die Puppe deinem Papi, der kann ihr bestimmt helfen.«
»Nein!«, schrie sie entsetzt. »Der macht sie bloß noch kaputter!« Sie strampelte sich los und entwetzte Richtung Treppe.
»Dann eben nicht!« Rüdiger ließ die Koffer stehen, er wusste ohnehin nicht, wem sie eigentlich gehörten, und verzog sich in sein eigenes Zimmer. Er musste nachdenken und die Möglichkeit in Betracht ziehen, eine Zeit lang bei seinem Freund Benjamin zu wohnen. Der hatte es ihm ja angeboten. Sein Vater, Ordinarius an der Uni Heidelberg, gehörte zur oberen Gesellschaftsklasse, und deshalb wurde auch sein Sohn im Hause Bender akzeptiert. Aber nur deshalb!
»Wenn man ihn so sieht, sollte man nicht glauben, dass sein Vater ein fünfstelliges Jahreseinkommen hat«, pflegte Gisela zu sagen, sobald sie Benjamin durch den Garten schlappen sah. »Der muss seine Garderobe aus den monatlichen Altkleidersammlungen beziehen.«
Äußerlichkeiten interessierten Rüdiger nicht, und es war ihm völlig gleichgültig, ob Benjamins Turnschuhe durchlöchert und
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