Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
seine abgewetzten Jeans unten ausgefranst waren. Der Junge war der beste Lead-Gitarrist, den man sich für eine selbst gestrickte Band wünschen konnte, und außerdem hatte er immer eine Fünf in Mathe, was die beiden Jungs auch über die musikalischen Gemeinsamkeiten hinaus noch verband. Florian konnte also nichts dagegen haben, wenn er, Rüdiger, dieses Irrenhaus hier verließ – zumindest so lange, bis abzusehen war, ob sich die Verhältnisse irgendwann einmal normalisierten.
Vorläufig sah es nicht so aus. Nachdem Tobias auf Geheiß seines Großvaters doch noch die Schulmappe ins Haus getragen hatte, obwohl er sie ganz einfach hatte vergessen wollen und zu diesem Zweck im Kofferraum unter die Wolldecke gesteckt hatte, beschloss er, die nähere Umgebung zu erkunden. Irgendwo musste es auch hier Kinder geben. Außerdem hatte die Oma schon während der Fahrt gedroht, ihn eigenhändig in die Wanne zu stecken und gründlich abzuschrubben, und Wasser akzeptierte Tobias eigentlich nur im Freibad oder in Gestalt von Regenpfützen. Waschorgien hielt er für überflüssig, weil man ja doch immer wieder dreckig wurde, und dann ging der ganze Zauber von vorne los.
Er schlenderte die Straße entlang, fand sie aber ziemlich langweilig, weil die neu angepflanzten Bäume noch zu klein zum Draufklettern waren und der Gehsteig aus glattem Asphalt bestand, auf dem sich nicht mal ein Steinchen finden ließ, mit dem man herumkicken konnte. Leere Coladosen gab’s schon gar nicht. Ziemlich trostlose Gegend, fand Tobias und krabbelte auf ein Mäuerchen, das das Fundament für den etwas zurückgesetzten Jägerzaun bildete. Vorsichtig schob er sich an dem Holzgatter entlang.
»Pass auf, da hinten hängt ein Nagel raus, an dem reißt man sich immer die Hosen kaputt.«
Tobias blickte auf den warnenden Zeigefinger, den ein flachsköpfiger Junge etwas ziellos in die Gegend streckte. Er mochte etwa acht Jahre alt sein, hatte leuchtend blaue Augen, abstehende Ohren und trug einen fransengeschmückten Cowboyanzug. Am Gürtel baumelten neben den obligatorischen beiden Colts ein imponierendes Taschenmesser, ein Flaschenöffner, Schlüssel verschiedener Größe sowie ein Sortiment Schnürsenkel.
»Wozu brauchst ’n die?« Tobias war von der Mauer gesprungen und zeigte auf die Strippenparade.
»Kann man immer brauchen zum Türenzubinden oder wenn der Knopf an der Hose ab ist, und wenn ich die Fernsehantenne am Bücherregal festmachen muss, damit sie nicht immer in die falsche Richtung kippt. Tesafilm hält nämlich nicht.«
»Hast du einen eigenen Fernseher?«
»Klar. Du nicht?«
Tobias schüttelte den Kopf. »Ich darf sowieso bloß das Kinderprogramm sehen.«
»So ’n Schwachsinn, dabei kommen abends die besten Filme.« Der fremde Junge war über den Zaun geklettert und stand jetzt neben Tobias auf der Straße. »Ich hab’ dich noch nie gesehen. Bist du zu Besuch, oder wohnst du hier?«
»Ja – nein, ich wohne nicht wirklich hier, aber jetzt doch.« Mit einer beziehungsreichen Geste tippte der Blondschopf an seine Stirn. »Du tickst wohl nicht richtig, was? Du musst doch wissen, wo du wohnst.«
Tobias versuchte, die komplizierte Sachlage zu erklären, aber der andere hatte schon begriffen. »Also wohnst du doch hier.«
Ergeben nickte Tobias. Es stimmte ja auch. Der Fall lag zwar etwas anderes als bei seinem zweitbesten Freund Thorsten, der vor ein paar Monaten nach Düsseldorf gezogen war und genau wusste, dass er im Juli wieder zurückgehen würde nach Hamburg, aber das kam daher, weil Thorstens Vater bei einer Bank arbeitete und in Düsseldorf bei der Zentrale noch etwas Wichtiges lernen musste. Papi musste hier in Steinhausen zwar nicht hospitieren (Tobias hatte lange geübt, bis er das interessante Wort aussprechen konnte), aber er musste auf das Haus aufpassen, auf Onkel Fabians Kinder und dafür sorgen, dass nichts kaputtging. Und das war ja auch wichtig.
»Wie heißt du eigentlich?«, forschte der fremde Junge weiter.
»Tobias Bender. Und du?«
»Patrick Wilke. Mein Vater hat ’ne Fabrik. Deiner auch?«
»Meiner hat ’ne Zeitung«, erklärte Tobias, eifrig bestrebt, hinter seinem neuen Freund nicht zurückzustehen.
»Auch nicht schlecht«, meinte dieser und ging zur Tagesordnung über. »Was machen wir’n jetzt?«
»Weiß nich.«
»Samstags ist sowieso ein ganz blöder Tag, da ist hier überhaupt nichts los. Markus fährt mit seinen Eltern immer ins Wochenendhaus. Heiko muss seinen geschiedenen Vater besuchen,
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