Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
und Dominik kriegt jeden Sonnabend Reitstunden. Dabei will er die gar nicht.«
»Auf’m richtigen Pferd?«, staunte Tobias.
»Was denkst du denn? Der hat sogar ein eigenes.«
»Im Garten?« Offenbar gehörte hier zu jedem Haus ein mehr oder weniger großer Garten, und Tobias konnte sich durchaus vorstellen, dass darin auch bequem ein Pferd Platz hatte.
»Quatsch, der Gaul steht natürlich in einem Reitstall hundert Kilometer weit weg von hier. Deshalb kommt Dominik auch nie vor dem Dunkelwerden zurück.«
Eigentlich hatte Tobias mit seinem Dreigangrad renommieren wollen, das er zum letzten Geburtstag bekommen hatte, aber nun schwieg er lieber. Mit einem Pferd konnte so ein Drahtesel nicht konkurrieren. Onkel Fabian war wohl doch nicht so reich, wie Tobias bis jetzt geglaubt hatte. Nicht mal einen Swimmingpool hatte er.
»Kannst du bellen?«
Tobias nickte eifrig. Das konnte er wirklich. Sogar Mami war schon oft auf seine täuschend nachgeahmte Kläfferei hereingefallen.
»Mach mal!«, forderte Patrick.
Tobias begann mit einem unterdrückten Knurren, jaulte ein paar Mal kurz auf und wuffte los.
»Das genügt! Jetzt ärgern wir Fräulein Senkhas.« Patrick setzte sich in Bewegung, und Tobias stiefelte gehorsam neben ihm her. Er hatte zwar keine Ahnung, auf welche Weise er mit seinem Imitationstalent das unbekannte Fräulein Senkhas ärgern könnte, aber Patrick schien das ganz genau zu wissen. Vor einem in dieser feudalen Umgebung etwas armselig wirkenden Häuschen blieb er stehen. »Da wohnt sie.«
»Sieht aus wie ein Hexenhaus.« Ängstlich musterte Tobias die efeuumrankte Fassade mit den kleinen Fenstern und der niedrigen, vergitterten Eingangstür.
»Das ist ja auch eine drin«, bestätigte Patrick. »Drei Katzen hat se, und immer, wenn se’n Hund bellen hört, kommt se raus und ruft die Viecher, damit se nich gebissen werden. So, und nu bell mal!«
Während Patrick vorsichtshalber hinter dem dicken Forsythienbusch, dessen Zweige halb über den Gehsteig hingegen, Deckung suchte, stellte sich Tobias in Positur und bellte. Es musste mindestens eine Dogge von Kalbsgröße sein, die da wütend einen unsichtbaren Angreifer zu verjagen drohte.
»Lauter«, kommandierte Patrick aus sicherer Entfernung. »Die hört schwer.«
Tobias bellte lauter. Und endlich ging die Tür auf. Eine etwas zittrige Stimme rief ängstlich: »Miez – miez – miez, kommt, meine Kleinen! Kommt ganz schnell ins Haus!«
Wie eine Hexe sah das Fräulein eigentlich nicht aus, fand Tobias. Alt war sie und ein bisschen verhutzelt, aber sie hatte keinen Buckel, und ihre Augen blickten überhaupt nicht stechend, sondern gütig und ein ganz kleines bisschen traurig. Die Hexe in seinem Märchenbuch sah ganz anders aus.
»Ist das dein Hund, mein Kleiner?« Die alte Frau kam näher und sah sich suchend um. Tobias schüttelte den Kopf und machte ein paar Schritte rückwärts. So ganz geheuer war ihm die Sache denn doch nicht. »Hier ist kein Hund mehr«, sagte er vorsichtshalber, »der is’ schon um die Ecke gelaufen.«
»Das beruhigt mich aber.« Die Frau nickte Tobias freundlich zu.
»Ich habe nämlich drei sehr wertvolle Katzen, und du weißt ja sicher, dass sich Hunde und Katzen einfach nicht vertragen. Wenn es große Tiere sind, dann springen sie schon mal über den Zaun. Deshalb habe ich auch immer ein bisschen Angst, wenn es direkt vor meiner Tür bellt.«
»Ist klar«, sagte Tobias verständnisvoll, »aber hier is’ ganz bestimmt kein Hund mehr.« Plötzlich schämte er sich sehr.
»Danke, mein Junge.« Fräulein Senkhas ging zurück ins Haus und schloss leise die Tür. Tobias hörte, wie innen zwei Riegel vorgeschoben wurden.
»Das ist ja gar keine Hexe, das is’ doch bloß eine alte Frau.« Er lief zum Forsythienbusch, um Patrick über dessen Irrtum aufzuklären, aber der war gar nicht mehr da. Verschwunden. So ein Feigling, dachte Tobias empört, haut einfach ab. Dabei hab’ ich doch gebellt.
»Kannst wieder rauskommen. Patrick!« Nichts rührte sich. Und so was nennt sich Freund, dachte Tobias erbost, musste aber zugeben, dass diese Freundschaft noch ziemlich neu war und offensichtlich auf tönernen Füßen stand. Er beschloss, die Sache zunächst einmal auf sich beruhen zu lassen, und machte sich auf den Heimweg. Nur – wo war er überhaupt? Tobias konnte sich nicht mehr erinnern, ob es an der Kreuzung nun links oder rechts herum ging. Die Häuser ähnelten sich alle, waren weiß und flach, aber der Briefkasten da
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