Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
Verdienst allein ein bisschen knapp werden würde. Auch das hatte Frau Antonie später verschwiegen. Es würde ihrer arroganten Großnichte wirklich gut tun, eine Zeit lang in weniger komfortablen Verhältnissen zu leben. Dann würde sie endlich mal selbst ihre Schuhe putzen und hoffentlich auch Geschirr spülen müssen. Bei Baumiers gab es weder eine Zugehfrau noch eine voll automatisierte Küche.
Mühsam unterdrückte Frau Antonie ein Gähnen. »Ich glaube, wir sollen allmählich Schluss machen, es ist gleich elf. Mylène hat gewonnen und bekommt den ausgesetzten Preis.« Lächelnd schob sie dem Mädchen die Packung Katzenzungen zu.
»Langues de chattes«, erklärte Melanie.
»Pardon?«
»Forget it! Die kennst du ja doch nicht.«
Tinchen erschien mit einer Platte belegter Brote. »Ich dachte, ihr hättet vielleicht noch Hunger?«
»Aber Ernestine! Es ist höchst ungesund, kurz vor dem Zubettgehen den Magen noch zu belasten.«
»Ach, Mutsch, du hast ja keine Ahnung. Teenagermägen können gar nicht genug belastet werden. Nur auf diese Weise besteht Hoffnung, dass über Nacht nicht der halbe Kühlschrank geplündert wird. Habe ich Recht, Rüdiger?«
Der nickte bloß und griff schon nach dem zweiten Käsebrot.
»Es isst der Mensch, es frisst das Pferd, doch manchmal ist es umgekehrt«, murmelte Clemens.
Rüdiger ließ sich nicht stören. »Fang an, Mylène, sonst ist nichts mehr da. Melanie, gib mir mal das Wörterbuch!« Nach mehrmaligem Suchen, unterbrochen von Notizen, die er auf seine Papierserviette schrieb, klappte er das Buch wieder zu. »Also pass auf!« Langsam und deutlich las er vor: »Du fromage ferme l’estomac!«
Ratlos blickte Mylène in sein erwartungsvolles Gesicht, dann zuckte sie die Schultern. »Das isch ’abe nicht verstanden.«
»Die blickt aber auch gar nichts«, sagte Melanie.
»Das kann sie auch nicht«, mischte sich Frau Antonie ein. »Eine deutsche Redensart lässt sich nicht wortwörtlich in eine andere Sprache übersetzen. Komm mal her, mein Kind!« Geduldig erklärte sie Mylène, was mit der Behauptung, Käse würde den Magen schließen, gemeint war. »So, und jetzt ab ins Bett! Bonne nuit, ma chère, et rêve bien.«
Kichernd liefen die Mädchen die Treppe hinauf, und Tinchen atmete tief durch. Der erste Feiertag war überstanden.
Der zweite verging sogar noch schneller. Vormittags war Florian mit dem ganzen Verein auf den Rummelplatz gezogen und hatte seiner Frau geraten, das Geld für Riesenrad und Autoscooter unter der Rubrik »Gästebewirtung« zu verbuchen. »Die Spalte ist noch ziemlich leer.«
Herr Pabst besichtigte den Garten, insbesondere Florians Gemüsekulturen, wo alles in grüner Gleichberechtigung durcheinanderwuchs, und Frau Antonie begab sich in die Küche. Die Schweinemedaillons gestern waren zwar delikat gewesen, aber heute sollte es Kalbsnierenbraten geben, und den traute sie Tinchen nun doch noch nicht zu. Ohnehin war es erstaunlich, wie sich das Kind in den paar Monaten gemausert hatte! Frau Antonie hatte ein Chaos erwartet und stattdessen einen gut funktionierenden Haushalt vorgefunden, in dem alles wie am Schnürchen lief. Sogar an den Malventee hatte Tinchen gedacht und an die Diätmarmelade; früher hatte sie häufig genug nicht mal Butter im Haus gehabt.
»Kann ich dir helfen, mein Kind?«
»Nein, Mutsch, überhaupt nicht. Nachher kannst du den Tisch decken, wenn du willst, aber in der Küche lässt du mich am besten allein.«
»Soll ich nicht wenigstens die Tunke …«
»Nein, auch die nicht!«
Später musste Frau Antonie zugeben, dass sie die Soße nicht besser hätte machen können. Tinchen errötete vor Stolz und leistete im Stillen bei Marthchen Abbitte, von der sie oft wie eine dumme Göre behandelt und abgekanzelt worden war.
Für den Nachmittag war ein Besuch im Frankfurter Zoo geplant.
»Wenn wir ein bisschen zusammenrücken, kommen wir doch mit zwei Autos aus, nicht wahr?« Große Lust hatte Tinchen nicht, sich durch den Feiertagsverkehr zu quälen und sich dabei die unqualifizierten Bemerkungen ihrer Mitfahrer anzuhören. Sie wusste ja selber, dass sie nicht besonders gut fuhr, gelegentlich die Nerven verlor und sich von jeder Nuckelpinne überholen ließ. »Wenn du in deinem Schildkrötentempo über die Autobahn rast, wirst du jedes Mal zum Verkehrshindernis«, hatte Rüdiger erst unlängst gemeckert. Deshalb vermied sie auch nach Möglichkeit die Schnellstraßen und behauptete, normale Straßen seien landschaftlich viel
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