Das Maedchen am Klavier
Clara auslöste. Allein schon Vergleiche mit anderen Pianisten erweckten sein Misstrauen. Dabei genoss es die Berliner Presse, von Anfang an eine Rivalität zwischen Clara und anderen Künstlern, die sich in der Stadt aufhielten, zu beschwören. Mit großer Süffisanz stellte man fest, der derzeit beliebte Theodor Döhler, Hofpianist des Herzogs von Lucca, könne mit Claras Temperament nicht mithalten. »Für Döhler ist das allgemeine Publikum sehr eingenommen«, stand zu lesen. »Doch sagt man bereits in den Caféhäusern, Clara sei der Mann und Döhler die Frau.« Womit von einer Minute zur nächsten eine Rivalität aufgebaut wurde, die nie bestanden hatte, doch nun die Feuilletons für einige Zeit fütterte und das Publikum zur Stellungnahme fast schon zwang.
Berlin. Acht große Konzerte gab Clara hier: neben den üblichen Bravourvariationen auch Stücke von Mendelssohn und Chopin, eine Fuge von Bach und diesmal sogar Beethovens »Sonate in f-Moll«, die sie auf Verlangen vollständig und natürlich auswendig spielte. Friedrich Wieck hatte erkannt, dass er in einer Metropole wie Berlin Claras Programm anderen künstlerischen und intellektuellen Ansprüchen unterwerfen musste als in den verträumten kleinen Städten der Provinz.
Trotz aller Erfolge brachte ihn die Arbeit in der Großstadt an den Rand seiner Belastbarkeit. In einem Staat wie Preußen tätig zu sein bedeutete, sich einer Kontrolle auszuliefern, die die Grenzen zur Schikane bereits überschritten hatte. »Mein liebesTinchen«, schrieb er an seine Frau und sehnte sich plötzlich nach ihr. »Die Schwierigkeiten mit Polizei und Zensur sind hier unendlich. Jede Anzeige, jede kleine Abänderung muss fünf Mal geschrieben werden und das Vidi durch die Zensur durch vier Behörden machen, ehe es in die Zeitung darf. Dazu gehören jeden Tag wenigstens zwei Stunden Zeit und unendliche Lokalkenntnisse der Bureaus und Behörden, die einen in der Gewalt haben und alles behindern können, wie sie nur wollen.«
Manchmal dachte er, seine Arbeit als Impresario sei in letzter Zeit irgendwie unangenehmer als früher und die Bosheit in der Welt habe ganz gewiss zugenommen. Zugleich erhöhten sich seine eigene Empfindlichkeit und seine Aggressivität. Immer wieder ließ er sich hinreißen, auf Kritiker loszugehen und ihnen Vorhaltungen zu machen. »Diesem Rellstab habe ich heute die Meinung gesagt«, erzählte er dann zufrieden. In den nächsten Tagen musste er allerdings erkennen, dass er Clara mit seinem Vorgehen keinen Gefallen getan hatte.
Berlin. Clara fühlte sich wohl hier, auch wenn ihre Augen wieder einmal vom Kerzenlicht entzündet und ihre Fingernägel gespalten waren. Die Finger selbst aber taten ihr nicht weh und eilten wie bisher über die Tasten, als wären sie allein dafür geschaffen.
»Triumph, Triumph!«, schrieb Friedrich Wieck nach Leipzig. »Das Publikum hat dem Rellstab den Mund gestopft. Man kann direkt sehen, wie er vor Angst trippelt.« Friedrich Wieck genoss es, seine Gegner einzuschüchtern. »Es war an der Zeit, dass wir nach Berlin gingen, um mit einem Schlag in Europa groß dazustehen.«
2
»Berlin, Hinter der Evangelischen Kirche Nro. 2« lautete die Adresse, die Clara mit Tinte auf ihrer Handfläche notiert hatte. Als ob sie diese Gedächtnishilfe wirklich gebraucht hätte!Sie wusste selbst nicht, wie oft sie diese Adresse bereits niedergeschrieben hatte, um die Briefe, zu denen sie gehörte, danach säuberlich zusammenzufalten, die Ränder mit dem Daumennagel festzufalzen und schließlich das erwärmte Siegelwachs daraufzuträufeln und mit dem Stempel zu kennzeichnen. Immer war ihr Vater dabei neben ihr gestanden und hatte ihr zum Schluss den Stempel wieder abgenommen. Mochte seine Tochter ihre Briefe nach Berlin auch allein verfassen, so bestand er doch darauf, jeden von ihnen zu lesen und zu überwachen, dass nichts hinzugefügt wurde, das ihm nicht bekannt war. »Berlin, Hinter der Evangelischen Kirche Nro. 2« – und darüber der Name der Adressatin: »Frau Marianne Bargiel, Pianistin und Klavierpädagogin«.
Es hatte lange gedauert, bis Friedrich Wieck endlich erlaubt hatte, dass Clara ihre Mutter besuchte. Dreizehn Jahre waren vergangen, seit Marianne ihre Tochter auf der Altenburger Poststation an Johanna Strobel übergeben hatte. Trotzdem konnte sich Clara noch gut daran erinnern. Es war kein trauriger Tag für sie gewesen, obwohl sie sah, wie ihre Mutter mit den Tränen kämpfte. Sie werde nun zu ihrem Papa
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