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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Tochter als Schülerin anzunehmen. Seit Jahren hätten sie dafür gespart, dass sich ihr Kind seinen Herzenswunsch erfüllen könne, eine bedeutende Pianistin zu werden. »Ein Talent ist eine Gottesgabe«, sagte Henriettes Vater ernst. »Ein Geschenk, aber auch eine Verpflichtung.«
    Clara zuckte zusammen. Ihr war, als hörte sie ihren eigenen Vater. »Ich kann Ihrer Tochter nicht helfen«, antwortete sie mit ruhiger Stimme. Sie kam sich plötzlich reif und erfahren vor und hätte sich gewünscht, es nicht zu sein. »Ich reise morgen ab. Nach Karlsruhe und dann nach Paris.«
    Sie traute ihren Ohren kaum, als Henriettes Vater daraufhin bat, sie möge seiner Tochter erlauben, sie zu begleiten. »Sie wird Ihnen nicht zur Last fallen, gnädiges Fräulein. Wir bitten nur, ihr zu gestatten, von Ihnen zu lernen. Die Unterrichtsstunden werden wir bezahlen und die Reisekosten übernimmt sie selbst. Gern wird sie Ihnen auch zur Hand gehen, wo es nötig ist. Ein Wort von Ihnen genügt.«
    Clara erschrak. »Ich bin selbst noch nicht einmal volljährig«, wandte sie ein. »Ist Ihnen das bewusst?«
    Nun meldete sich auch Henriettes Mutter zu Wort. »Sie sindeine große Künstlerin«, sagte sie mit einer hellen Kinderstimme, die nicht zu ihrem Alter passte. »Wer redet da von bürgerlichen Gesetzen?«
    So kam es, dass sie vom nächsten Morgen an zu dritt unterwegs waren: Clara, die Französin und Henriette Reichmann.
    Die Französin platzte fast vor Ärger und Eifersucht. Sie benahm sich, als hätte ihr Henriette das Essen vom Teller genommen. Sie hoffte inständig, dass sich in Paris die Lage wieder umkehrte. Ein ehrgeiziges Mädchen wie diese Henriette – selbst in Gedanken sprach Claudine Dufourd diesen Namen Französisch aus – würde dort auf Dutzende Männer treffen, die versprachen, sie zu protegieren. War nicht sogar Clara auf diesen Blender Schilling hereingefallen? Dabei war sie bisher doch wahrlich in der Welt herumgekommen. Um wie viel gefährdeter war da erst dieses Kind einfacher Leute, die es bestimmt nicht ewig finanzieren konnten! Ambitioniert, wie diese Henriette war, würde sie zugreifen, wenn man ihr Förderung anbot. Ein vermögender Bankier vielleicht, der ihr eine hübsche Wohnung einrichtete und für ihren Unterhalt aufkam, oder ein junger Aristokrat, der ihr die Ehe versprach, bis seine Leidenschaft abgekühlt war ...
    »Ihre Eltern hätten Ihnen diese Reise verbieten müssen, Henriette«, sagte die Französin, während sie in der Kutsche saßen und sich der Lichterstadt Paris näherten. »Sogar der welterfahrene Monsieur Wieck hat seiner Tochter eine Anstandsdame besorgt. Wer aber soll auf Sie aufpassen, wenn wir erst in Paris sind?«
    Henriette wusste nicht, was sie antworten sollte.
    Doch Clara hob den Kopf von ihren Abrechnungen. »Das werde ich tun, Mademoiselle«, sagte sie kühl. »Verlassen Sie sich darauf und kümmern Sie sich lieber um Ihre eigenen Angelegenheiten.« Dann schwieg sie und blickte verwirrt vor sich hin. Ich bin neunzehn!, dachte sie und erinnerte sich plötzlich an Alfred von Schönburg, der sie in den Arm genommen hatte. »Armes Mädchen!«, hatte er gesagt. »Was hat man nur mit dir gemacht?«
    Wie angenehm es gewesen war, sich beschützt zu fühlen! Was war nur geschehen, dass auf einmal sie selbst für die anderensorgte? Dass sie mit zwei Frauen, die von ihr abhingen, in einer schäbigen Postkutsche saß und über Abrechnungen brütete. Clara Wieck, das gepanzerte Mädchen. Papas kleiner Russe, den keiner mehr in den Arm nahm und tröstete ... Vielleicht, dachte sie, hätte ich mich damals in Wien doch nicht so heftig wehren sollen, sondern hätte besser abgewartet, wie es weitergehen würde.
    »Ich bereue nichts!«, hatte Robert Schumann einmal großspurig erklärt, als sie über ihr Leben sprachen und über das Schicksal im Allgemeinen. Damals hatte sie ihm nicht widersprochen, obwohl sie ihm nicht glaubte. So manches in seinem Leben hätte er wohl geschickter anstellen können, hatte sie gedacht. Mit sich selbst war sie weniger streng ins Gericht gegangen. Ihr Leben war ihre Karriere und die war stetig nach oben verlaufen. Kein Zweifel also, dass sie alles richtig gemacht hatte.
    Doch jetzt? Konnte sie immer noch mit sich selbst zufrieden sein? War sie immer noch auf dem richtigen Weg? Gewiss, sie hatte bewiesen, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen konnte und dass sie auch ohne ihren Vater zurechtkam. Woher rührte aber dann diese unerklärliche Angst, die sie in

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