Das Maedchen am Klavier
bereits mehrere Verlage gerichtlich vorgegangen waren. Bisher vergeblich, denn Schillings Selbstbewusstsein überzeugte sogar die Richter.
Auch Clara ließ sich von ihm blenden. Sie war dankbar, dass er ihr schon nach einer Woche mehrere Engagements bei Hofe vermittelte und sie mit wichtigen Persönlichkeiten der Stadt bekannt machte. »Er hilft mir sehr«, berichtete sie Robert Schumann, der sich bei diesen Worten schlagartig vom liebevoll-sanften Eusebius in den wutschnaubenden Florestan verwandelte.
»Schilling ist ein fleißiger Bücherschreiber, ungefähr wie Czerny ein Komponist«, schrieb er und hätte zum Degen gegriffen, hätte er nur zu fechten gelernt. »Du arme kleine Kammervirtuosin Du, wie kannst Du Dir nur von so einem imponieren lassen? Hast Du nie daran gedacht, dass er Dich nur ködern möchte, um dann mit Deiner Hilfe Geld zu scheffeln?«
Inzwischen hatte sich der feine Dr. Schilling dazu hinreißen lassen, Clara mehrere Liebesbriefe zuzustecken. Zu seinem Bedauern, schrieb er, sei er bereits verheiratet, doch das habe nichts zu bedeuten. Er habe genug Geld, um auch zwei Frauen zu ernähren. Niemand aber würde wie er imstande sein, Claras Karriere zu fördern. Mit seiner Hilfe würde sie die größte Pianistin der Welt werden.
Nun wurde auch Clara hellhörig. Die größte Pianistin der Welt? War sie das nicht bereits auch ohne diesen Dampfplauderer, den sie nun mit anderen Augen zu sehen begann? Als er ihr in tiefer Gekränktheit einen Brief von Robert Schumann zeigte, in dem dieser ihn einen »Halbmenschen von Musiker« nannte, freute sie sich, dass ihr sonst so stiller lieber, lieber Robert so wütendfür sie eintrat. »Sollten Sie es wagen, die junge Dame weiter zu bedrängen, werde ich Sie zertreten wie eine Spinne. Ihre Briefe werde ich im Notfall Ihrer bemitleidenswerten Frau Gemahlin zustellen. Robert Schumann.« Clara unterdrückte ein Kichern. Trotzdem sagte ihr ihr nüchterner Wieck’scher Verstand, dass sie in Zukunft wohl vorsichtiger sein sollte. Erst jetzt begriff sie, dass ihr Talent ein Kapital war, an dem sich so mancher Spitzbube gern vergriffen hätte.
Nach ihrem letzten Konzert in Stuttgart lernte Clara eine junge Frau kennen, Henriette Reichmann, die Clara bat, ihr vorspielen zu dürfen. »Ihr Urteil würde mir viel bedeuten«, erklärte sie und fügte dann hinzu, Clara sei ihr großes Vorbild. Schon als Kind habe sie sie beneidet und sich gewünscht, so zu werden wie sie. »Ich übe jeden Tag mindestens vier Stunden«, gestand sie. »Irgendwann möchte ich wie Sie in einem großen Konzertsaal spielen und die Menschen verzaubern. Mit Beethoven vielleicht. Keinen Komponisten verehre ich mehr als ihn. Manchmal kommt es mir vor, als habe er manches eigens für mich geschrieben.«
Clara blickte sie zweifelnd an. »Ausgerechnet Beethoven?«, fragte sie und erinnerte sich daran, dass ihr ihre Gegner in Wien vorgeworfen hatten, sie habe Beethoven nie richtig verstanden.
»Ich habe gehört, wie Sie seine ›Appassionata‹ spielen«, gestand Henriette Reichmann fast ehrfürchtig. »Er ist ein Genie und Sie sind ihm als Pianistin ebenbürtig.«
Clara war zu selbstkritisch, um sich geschmeichelt zu fühlen. Trotzdem ging sie mit der jungen Frau – wohl im gleichen Alter wie sie selbst – zurück in den Konzertsaal und gebot ihr mit einer einladenden Geste, sich ans Klavier zu setzen.
Der Saal hatte sich inzwischen geleert. Die Klavierträger warteten bereits darauf, den Flügel abzutransportieren. Sie murrten, als es eine Verzögerung gab. Nur weil das junge Mädchen am Klavier so braunlockig und hübsch war, harrten sie noch aus. An der Tür stand ein älteres Ehepaar, einfache Leute, doch offensichtlichmusikverliebt. »Meine Eltern«, erklärte Henriette Reichmann und begann zu spielen.
Clara horchte auf. Sie merkte gleich, dass die junge Frau keinen guten Musikunterricht genossen hatte, doch ihr Talent war unüberhörbar.
»Ich habe Chopin gewählt, weil ich weiß, dass Sie ihn lieben«, sagte sie, als der letzte Ton verklungen war. »Glauben Sie, dass ich Chancen habe, eine gute Pianistin zu werden?«
Clara überlegte. Die Verantwortung lastete auf ihr. Dann aber nickte sie. »Ich denke schon«, gab sie zögernd zu. »Sie müssen sich nur einen besseren Lehrer suchen.«
Da lachte Henriette beglückt auf. »Den Lehrer habe ich schon!«, rief sie. »Ich ersuche Sie von ganzem Herzen, mich zu unterrichten.«
Auch ihre Eltern eilten nun herbei und baten Clara, ihre
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