Das Maedchen am Klavier
immer das sein mochte. Jedenfalls durchwühlten sie seine Korrespondenz, lasen sich in Claras Liebesbriefen fest und konfiszierten schließlich mehrere seiner Bücher – ausgerechnet Jean Paul und Lord Byron.
»Das ist Weltliteratur, meine Herren!«, versicherte ihnen Robert Schumann in seinem breitesten Sächsisch, da ja auch die Eindringlinge auf ihrem Dialekt beharrten. Doch jeder Einspruch blieb vergeblich und keine der Beschwerden, die er bei der Zensurbehörde einreichte, wurde beantwortet. An den mächtigen Sedlnitzky, dessen Namen er nach wie vor falsch schrieb, kam er schon gar nicht heran.
Als einzige Rache für seine Enttäuschung blieb ihm, sein Opus 23 zu komponieren, dem er in seiner aufsässigen Stimmung erst den Titel »Leichenfantasie« gab. Danach entschloss er sich allerdings, es »Nachtstücke« zu nennen. Im darauf folgenden »Faschingsschwank« revanchierte er sich erst recht, indem er stetig wiederkehrend die in Österreich verbotene »Marseillaise« zitierte. Die Davidsbündler in Leipzig würden das sicher zu schätzen wissen, dachte er. Doch in Wien verschloss ihm sein Aufbegehren auch noch die letzte Tür der Amtsstuben. Bald fühlte er sich nur noch beobachtet und verfolgt. Sogar Friedrich Wieck beschuldigte er insgeheim, bei der Zensurbehörde gegen ihn intrigiert zu haben.
In dieser trüben Stimmung korrespondierte er mit Clara, die ihm in Hochstimmung schilderte, wie sie dabei war, sich in Paris einzugewöhnen. Jedes Mal, wenn ein Brief von ihr kam, klopfte sein Herz. »CW«, ihre Initialen auf kostbarem Papier, leuchteten ihm entgegen wie strahlende Signale aus einer anderen Welt, die sich der heimwehkranke sächsische Junge, der zum ersten Mal seine enge Heimat hinter sich gelassen hatte, kaum vorstellen konnte. Wahrscheinlich, so fürchtete er, würde er sich in diesem fremden Universum, in dem sich Clara so wohl fühlte, gar nichtzurechtfinden. Der Kampf gegen die Zensurbehörde hatte sein Selbstbewusstsein schwer angeschlagen.
»Mademoiselle Clara Wieck, Pianiste de S. M. L’Empereur d’Autriche« adressierte er seine Antwortbriefe, in denen er versuchte, seine deprimierte Stimmung zu verbergen. Er erzählte, dass er sich mit Franz Xaver Mozart, Sohn des großen Wolfgang Amadeus, angefreundet habe, fügte aber gleich hinzu, es sei traurig, »aber wir sind doch alle eigentlich nur noch Epigonen«. Dabei dachte er heimlich auch an den kleinen Goethe, der so verliebt in ihn gewesen war, dass er freudig sein Leben für ihn gegeben hätte. Danach verdrängte er hastig den Zweifel, der ihn plötzlich überfiel: ob sich eine Frau wohl ebenso leidenschaftlich aufopfern würde wie dieser unbedeutende Dichterenkel, den seine Abstammung zugleich auszeichnete und bedrückte? Und dann sogar: ob Clara willens wäre, für ihn alles aufzugeben, wie es sich für eine Frau gehörte, die ihren Mann liebte?
Die Reise zurück nach Sachsen war nur noch eine Angelegenheit von Wochen. Ein wenig musste er aber wohl noch bleiben, damit seine Niederlage nicht allzu offenkundig war. Friedrich Wieck würde auch so schon triumphieren und ihn wieder einmal als Versager hinstellen. Welche Demütigung! Am Abend, wenn der Tag wieder einmal nichts eingebracht hatte, weinte Robert Schumann oft allein in seinem Zimmer und schrieb danach fröhliche Briefe an seine kaiserliche Pianistin. Er schämte sich, sein Debakel einzugestehen, nahm sich aber vor, von jetzt an in Leipzig doppelt tätig zu sein. Seine Zeitschrift lief nicht schlecht und versprach noch mehr, wenn er sich erst voll dafür einsetzte. Auch für seine Werke würde er nun energischer eintreten. Claras Beispiel sollte eine Anregung für ihn sein. Ab jetzt wollte er auch viel mehr als bisher unter Menschen gehen. Wie Felix Mendelssohn wollte er sein Publikum bezaubern. Der Erfolg seiner Kompositionen war es wert, über den eigenen Schatten zu springen.
»Spielst Du denn vor dem Pariser Publikum auch hin undwieder meine Stücke?«, fragte er schüchtern in seinem nächsten Brief an Clara.
Sie antwortete nicht darauf, denn sie hatte es nicht getan.
»Hast du Angst?«, hatte Emilie List gefragt, als sie Clara zum ersten Mal seit fast fünf Jahren wieder in die Arme schloss. Mila, die beste Freundin, die Clara je gehabt hatte, vielleicht sogar die einzige, weil es in ganz Leipzig kein anderes Mädchen gab, das sich in Claras Wanderleben hineindenken konnte. Auch Mila hatte viel von der Welt gesehen und auch sie wusste, was es bedeutete, eigentlich
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