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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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befragt, so hätten sie freundlich, aber mit Überzeugung erklärt, Erziehung sei zuallererst eine Frage der Liebe und beruhenicht auf Züchtigung, sondern auf Verantwortungsbewusstsein, Verständnis für die Seele des Kindes und auf zärtlicher, wenn auch konsequenter Fürsorge. Im Hause Tromlitz hatte es Schläge nie gegeben. Auch andere, mildere Strafen waren selten vorgekommen. Dafür wurde viel gelobt oder – als Gegenteil davon – dieses Lob entzogen. Wenn ihre Eltern schwiegen, hatte die kleine Marianne immer gewusst, dass ihr Verhalten oder ihre Leistung kein Lob verdienten und dass man mit ihr nicht zufrieden war.
    Auch jetzt schwiegen die Eltern, nachdem ihnen Marianne – gefasst, wenn auch unter Tränen – berichtet hatte, was geschehen war. Sie schonte sich selbst nicht, schilderte aber auch das Verhalten ihres Gatten und die täglichen Auseinandersetzungen.
    Ihre Eltern hörten ihr ruhig zu und fragten nicht nach. Erst als Marianne die bevorstehende Scheidung erwähnte und das Kind, dem Friedrich Wieck seinen ehelichen Namen verweigern würde, schlug Mariannes Mutter die Hände vors Gesicht. »Haben wir dich für ein solches Leben erzogen, Marianne?«, flüsterte sie. »Was haben wir nur falsch gemacht?«
    Alle Folgen ihres Tuns brachen über Marianne herein und schienen sie unter sich zu begraben: die ersten Zweifel, die in der kleinen Stadt aufkeimen würden. Die ersten Vermutungen, wenn sie länger im Hause ihrer Eltern verweilte, als es beim Besuch einer Tochter üblich war. Zufällige Informationen aus Leipzig, die vom offenkundigen Zerwürfnis des Ehepaares Wieck berichteten. Und dann: die Geburt eines Kindes, von dem der Ehemann nichts wissen wollte, und schließlich die Scheidung, so unerhört in bürgerlichen Kreisen! Eine Schande für alle, die irgendwie damit zu tun hatten. Auch die Eltern Tromlitz würde es treffen. Es würde keine Rolle spielen, dass ihr eigenes Leben stets vorbildlich gewesen war. Dass sie einfach gute Menschen waren, voller Anstand und Nächstenliebe. Dass ihre Tochter eine Ehebrecherin war, eine geschiedene Frau, würde auch auf sie zurückfallen.
    Der Kantor fasste sich als Erster. »Die einzige Rettung für dich und dein Kind ist eine Heirat mit diesem Mann«, sagte er. Marianne spürte den Gram, den es ihm bereitete, dass sein Kindwomöglich zum zweiten Mal in eine Ehe schlitterte, die dem Vorbild der Eltern nicht einmal nahe kam. »Liebst du ihn?«
    Marianne senkte den Kopf.
    »Liebt er dich?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Damit war das Gespräch beendet.
    Erst ein paar Wochen später teilte ihr der Vater mit, er habe mit »Herrn Bargiel« korrespondiert. Herr Bargiel sei bereit, für die Folgen seines Handelns einzustehen, wie es sich für einen Ehrenmann gehöre. Nach der Scheidung, die sich mindestens über ein Jahr hinziehen werde, werde er um Mariannes Hand anhalten. Nach Leipzig werde sie natürlich nicht zurückkehren können, was bedeutete, dass Herr Bargiel seine Stellung beim Gewandhausorchester aufgeben müsse. Glück im Unglück sei es allerdings, dass der Musikerzieher und Unternehmer Bernhard Logier demnächst auch in Berlin ein eigenes Institut gründen wolle. Er habe Herrn Bargiel im Wieck’schen Institut kennengelernt und ihm die Leitung der Berliner Schule angeboten. Herr Bargiel habe zwar bisher vorgehabt, seine Karriere als Künstler weiterzuverfolgen. Da er aber nun bald für eine Familie sorgen müsse, werde er auf sein Bühnenleben verzichten und den Weg in die bürgerliche Sicherheit einschlagen.
    Marianne schwieg. Die ersten Anzeichen der Schwangerschaft konnten nicht mehr weggeleugnet werden. Manchmal war sie so müde, dass sie sich am liebsten gar nicht mehr bewegt hätte. Nicht einmal die Mitteilung ihres Vaters gab ihr ihre Kraft zurück. »Dann bin ich wohl gerettet«, murmelte sie nach einer Weile und war zu schwach, um dem Vater zu danken.
    »Wir sind alle gerettet«, antwortete ihre Mutter leise. »Keine wirklich ehrenwerten Menschen mehr, aber man wird uns auf der Straße wenigstens noch grüßen. Es fragt sich nur, ob dein Vater seine Stellung als Kantor behalten darf.«
    Für Clara gehörten die Wochen in Plauen zu ihren frühesten Erinnerungen. Alles hier war anders als zu Hause in Leipzig, schonam Morgen, wenn es im Hause immer noch ruhig war, obwohl alle bereits aufgestanden waren. Clara lag in ihrem Bett und meinte, die Großeltern und ihre Mutter schliefen noch. Erst nach einer Weile bekam sie Zweifel. Sie ging zur Tür und

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