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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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Marianne fragte sich insgeheim, ob er sie wohl hasste. Vielleicht war es so. Es wäre sein Recht gewesen. Oder vielleicht war sie ihm inzwischen als Person gleichgültig geworden und als seine Gegnerin im bevorstehenden Scheidungsprozess unangenehm. Gegen ihren Willen erinnerte sich Marianne daran, wie geschmeichelt sie gewesen war, als er sie bat, ihn zu heiraten, und wie verliebt und glücklich sie eine kurze, selige Zeit lang gewesen waren.
    An der Poststation flossen Tränen. Es zerriss Marianne fast das Herz, als sich Claras Kutsche in Bewegung setzte. »Passen Sie gut auf mein Kind auf!«, rief Marianne der Haushälterin zu.
    Johanna Strobel nickte. »Aber ja, gnädige Frau!«, antwortete sie mit ihrer brummigen Stimme. Dabei hätte sie sich gefreut, wenn Marianne wieder nach Leipzig zurückgekehrt und alles wieder so geworden wäre wie zuvor. Sie hätte Marianne gern erzählt, dass man in Leipzig inzwischen die Wahrheit vermutete und dass die meisten mit Marianne sympathisierten. Man hatte ohnehin nie verstanden, wie viel sie sich von ihrem cholerischen Gatten gefallen ließ. Dass ihr dann einer wie der charmanteBargiel gefährlich wurde, war fast zu verstehen, wenn auch natürlich nicht zu entschuldigen.
    Die Fahrt bis Leipzig verlief unter Schweigen. Hin und wieder erteilte Johanna Strobel eine Anweisung, doch nie erwartete sie eine Erwiderung. Sie wusste nicht, dass Clara inzwischen gelernt hatte zu sprechen, und Clara selbst erwähnte es nicht. Mit Johanna Strobel war die alte Welt zurückgekehrt, in der man nicht verlangte, dass Clara Antworten gab.
    Dann hatte die Kutsche ihr Ziel erreicht. Geschickt sprang Clara auf den Gehsteig. Schon auf den ersten Blick sah sie ihren Vater, der ihr nach den vielen Wochen erst wie ein Fremder erschien – und doch auch wieder so vertraut, als wäre sie endlich in ihr wahres Leben zurückgekehrt. Als er sie sah, beugte er sich vor und breitete die Arme aus. Da lachte Clara auf, so glücklich wie schon lange nicht mehr. Sie war wieder zu Hause! Sie rannte auf ihren Vater zu und ließ sich einfach auf ihn fallen. »Clara!«, rief er und hob sie hoch. »Mein Clärchen!« Er hatte Tränen in den Augen, aber das musste wohl eine Täuschung sein, dachte Clara, denn jemand, der so stark und mächtig war wie ihr Vater, weinte nicht.
    »Ich kann sprechen«, erklärte sie, als er sie wieder abgesetzt hatte. Sie kannte ihn so gut, dass sie keine besondere Reaktion erwartete.
    Tatsächlich nickte Friedrich Wieck nur beifällig und tätschelte ihren Kopf. »Das ist gut«, sagte er gleichmütig. »Ich habe nie daran gezweifelt, dass es so kommen würde.« Er lachte plötzlich. »Wenn dich später einmal ein Zeitungsmann fragt, kannst du sagen, du hättest eher Klavier spielen gelernt als sprechen.« Er überlegte kurz. »Hat man in Plauen geprüft, ob du auch eine gute Singstimme hast? Wenn ja, werde ich dir ab jetzt auch Gesangsunterricht erteilen. Vielleicht kannst du dich dann später bei Konzerten selbst begleiten.«
    Clara spürte, dass er zufrieden war. Leichtfüßig wie immer ging sie an seiner Seite. Sie war wieder zu Hause. Hierher gehörte sie.

Lehrjahre
1
    »Du bist eine Künstlerin, meine kleine Clara«, sagte Friedrich Wieck an Claras fünftem Geburtstag. »Das ist etwas ganz Besonderes. Ein Geschenk Gottes. Du darfst aber nie vergessen, dass auch andere diese Begabung besitzen. Wenn du sie alle überflügeln willst, musst du ständig an dir arbeiten: jeden Tag üben, was ich dir vorgebe; dich mit der Theorie vertraut machen und dich in jedes einzelne Musikstück einfühlen. Drei Jahre haben wir dafür Zeit, dann musst du bereit sein für die Öffentlichkeit. Du musst sie verblüffen und erobern. Du musst sie zu Tränen rühren und erschrecken. Man muss dich lieben und um dich zittern. In der kurzen Zeit auf der Bühne musst du in dein Publikum eindringen und ein Teil von ihm werden, so, dass sich jeder Einzelne für dich verantwortlich fühlt. Du musst ihm Tochter sein und Freundin und doch auch ein unerreichbares Vorbild, dass man stolz darauf ist, dich gehört und gesehen zu haben. Man soll noch lange von dir sprechen und dich nicht vergessen: Clara Wieck, die Virtuosin. Ein Kind noch, aber ein Wunderkind. Die kleine Amadea aus Leipzig, die die Welt erobern wird. Wenn du für die Menschen spielst, werden sie weinen und lachen zugleich. Sie werden klatschen und jubeln, und sie werden dir ihr Herz zu Füßen legen.«
    Zu viert saßen sie um den weiß gedeckten

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