Das Maedchen am Klavier
ließ das Klavier singen und drosch dann wieder in die Tasten, dass Goethe lächelnd feststellte, dieses Mädchen habe mehr Kraft als sechs Knaben zusammen. Danach spielte Clara auf seinen Wunsch vierhändig mit ihrem Vater und zuletzt noch mit dem Weimarer Musikdirektor. Zum Abschluss trug sie ein paar eigene Variationen vor.
Es sei ein ausgesprochen angenehmer Vormittag gewesen, erklärte Goethe, als man sich verabschiedete. Er überreichte Friedrich Wieck ein Widmungsblatt mit den eigenhändig geschriebenen Worten: »Für meisterliche musikalische Unterhaltung verpflichtet – J. W. Goethe.«
Friedrich Wieck errötete vor Freude. Noch entzückter war er, als der Geheimrat zwei Tage später sein Brustbild in Bronze überreichen ließ und eine Gedenkmünze, eingeschlossen in einer Holzkapsel und begleitet von der Dedikation »Der kunstreichen Clara Wieck« – alles erstklassige Referenzen, die sich in Zukunft werbewirksam ausschlachten lassen würden.
Friedrich Wieck lobte Clara, küsste sie und war stolz auf sie. »Jetzt sind wir reif für die Welt!«, erklärte er ohne den Anflug eines Zweifels. Die große Karriere stand bevor. Claras Karriere, aber eigentlich seine eigene.
Paris
1
Sie waren lange nicht mehr zu Hause in Leipzig gewesen. Die Briefe, die ihnen Clementine nachschickte, schienen aus einer fremden Welt zu kommen mit ganz anderen Sorgen und anderen Freuden. Friedrich Wieck war mit Clara in einer Postkutsche nach Kassel unterwegs, als Clementine in Leipzig ihr erstes Kind zur Welt brachte. Da sie keine Gelegenheit gehabt hatte, mit ihrem Gatten den Namen des Neugeborenen zu besprechen, nannte sie es Marie, womit man ja nie fehlgehen konnte.
Ein gesundes blondes Mädchen mit strahlenden blauen Augen. Als Friedrich Wieck die Nachricht erhielt, dachte er, dass ja die meisten Neugeborenen erst einmal blaue Augen hatten. Wenn man allerdings das Aussehen der Eltern bedachte, würden diesem kleinen Mädchen die blauen Augen wohl erhalten bleiben und sicher auch die blonden Haare – ganz anders als bei seinen ersten drei Kindern, die ihrer dunklen Mutter so ähnlich waren und die ihr, so schien es ihm manchmal, immer noch ähnlicher wurden. Er gestand es sich nicht ein, aber manchmal überfiel ihn der verstörende Gedanke, dass er niemals der Vater einer so begabten Tochter geworden wäre, wäre Clara nicht auch ein Kind der ehebrecherischen Marianne gewesen, die das Klavier singen lassen konnte, jubeln, weinen oder gar zürnen, dass man meinte, das Jüngste Gericht stehe bevor.
Die kleine Marie würde wohl keine Künstlerin werden. Dafür aber wahrscheinlich eine tüchtige Hausfrau wie ihre Mutter. Auch überragende Schönheit würde ihr kaum zuteilwerden, dennwoher hätte diese kommen sollen bei diesen Eltern? Trotzdem war Friedrich Wieck zufrieden. Er schrieb einen langen, liebevollen Brief an sein »Tinchen«, in dem er versicherte, wenn er erst mit Clara Paris erobert habe, werde er nach Leipzig zurückkehren und ein ruhigeres Leben führen.
Schon während er diese Worte zu Papier brachte, glaubte er sie selbst nicht. Doch er wusste, was sich gehörte und was von einem Familienvater erwartet wurde. Es war ein großes Glück, dass Clementine so anspruchslos war und so verständnisvoll. Dafür liebte er sie sogar ein wenig, und es fiel ihm nicht schwer, ihr zu schreiben, dass er sich nach ihr sehne und dass sie eine wunderbare Frau sei. Niemals hätte er zugegeben, dass er zwar mit dem Verstand genau wusste, wie sie aussah, dass er sich ihr lebendiges Bild und ihre Sprache aber nur mit Mühe in Erinnerung rufen konnte.
Erfurt, Gotha, Arnstadt, Kassel, Frankfurt ... So viele Namen von Städten, die eine nach der anderen wie Kieselsteine auf die Tasten so vieler fremder Klaviere herunterregneten. Ein Steinchen glich dem anderen, eine Stadt der nächsten.
Nichts war vorbereitet, wenn man eintraf. Ein Gasthof musste gesucht werden, in dem man nicht im Dreck erstickte und mit jeder Mahlzeit ausgeraubt wurde. Einen Saal brauchte man mit einem Klavier und ausreichender Bestuhlung. Beim Amt musste man anmelden, dass man plane, ein öffentliches Konzert zu veranstalten. Man brauchte Personal, das die Karten verkaufte und beim Einlass überprüfte. Eine Mietskutsche für die vielen Besorgungen und um die Kleidung vor der Witterung zu schützen. Annoncen mussten aufgegeben werden, Plakate gedruckt und möglichst sichtbar ausgehängt. Besuche bei den Honoratioren mit der Bitte, der kleinen Künstlerin
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