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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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so liederlich spielte, dass ihm Friedrich Wieck eine Münze auf den Handrücken gelegt hätte, um ihn zu zähmen, füllte die Säle. Als Komponist war er ein Großer, dachte Friedrich Wieck, doch als Pianist schlampte er. Trotzdem rissen sich die Damen darum, seinen melancholischen Blick aufzufangen, auch wenn er vor aller Augen einer dubiosen Dichterin in Männerkleidern den Vorzug gab.
    Die Salons, die den Geschmack bestimmten, wurden von Damen mittleren Alters geführt, und die zogen nun einmal leidenschaftliche junge Männer einem Mädchen vor, dem die Gefühle der Erwachsenen noch fremd waren. Wie hätte bei diesen Richterinnen des Kunstgeschmacks ein virtuoses Kind erfolgreicher sein können als ein hochgewachsener Jüngling wie Franz Liszt mit seinen melancholischen Augen, dem blassen Gesicht unddem dunklen, schulterlangen Haar, das so manche der Damen nur zu gern liebevoll zerzaust hätte?
    Und dann auch noch Beethoven, immer wieder Beethoven! Er sei der größte Komponist von allen gewesen, behauptete man. Größer selbst als Mozart oder Bach. Ausgerechnet Beethoven, dessen Feuer Friedrich Wieck erschreckte. Doch Paris vergötterte seine Werke. Dabei war man in Deutschland der Meinung, Paris wäre die Hauptstadt der Virtuosität, deren wichtigste Vertreter – Musiker wie Kalkbrenner, Pixis und sogar Herz – hier lebten. Trotzdem breiteten sich genau in ihrem abgezirkelten Schatten die neuen, wilden Blüten der Tollheit aus, bereit, sie zu überwuchern und zu ersticken.
    War diese sogenannte Romantik wirklich nur eine Mode, wie Friedrich Wieck hoffte, oder bedeutete sie das Ende einer Epoche – seiner Epoche, in deren Geist er seine Tochter ausgebildet hatte? Wenn sie spielte, stimmte alles. Die Zuhörer waren verblüfft über die Kraft und Schnelligkeit ihrer Kinderfinger. Hier gab es keine verschwaschenen Akkorde und keine verfehlten Tasten. Hier war alles perfekt.
    Wie konnte es da ein entlaufener deutscher Journalist, dessen Namen Friedrich Wieck fast absichtlich vergessen hatte, wagen, vom »unnützen Schall« der Virtuosen zu sprechen, von »Tours de force« oder gar von »klimpernden Maschinen«? Friedrich Wieck hatte ihn aufgesucht und gebeten, in der Augsburger »Allgemeinen Zeitung«, für die er aus Paris berichtete, auch über die Erfolge des Wunderkindes aus Leipzig zu schreiben. Nie würde er die Arroganz vergessen, mit der ihn der junge Mann hinauskomplimentiert hatte – natürlich ohne in den Blättern, für die er arbeitete, auch nur einmal den Namen Clara Wieck zu erwähnen. Nein, es waren nicht nur Sprachprobleme, die Friedrich Wieck zu schaffen machten.
    Je länger er sich in Paris aufhielt, umso fremder kam er sich vor. Sein Leben lang war er stolz darauf gewesen, sein Denken und Tun auf das Wesentliche zu konzentrieren: seine Arbeit und Clara zumal. Erst in Paris begann er zu ahnen, dass das Weltgescheheninzwischen an ihm vorbeigezogen war. Vor eineinhalb Jahren habe es hier eine Revolution gegeben, erwähnte sein Schwager und setzte voraus, dass Friedrich Wieck darüber Bescheid wusste.
    Doch Friedrich Wieck gab keinen Kommentar dazu. Er erinnerte sich, in den Zeitungen ein paar diesbezügliche Artikel überflogen zu haben. Auch dass die Franzosen damals ihren König davongejagt und an seiner Stelle einen entfernten Verwandten eingesetzt hatten, fiel ihm wieder ein. Dessen Namen kannte er aber schon nicht mehr, nur den Spitznamen: »Bürgerkönig«. Oder war es gar kein Spitzname, sondern eine Huldigung? Was waren die Hintergründe der Vorgänge in dieser Stadt? Was bewegte die Menschen, in deren Salons er seine Tochter führte, ohne mit jemandem sprechen zu können? Er war ein Fremder hier, das wurde ihm auf einmal bewusst. Allein und verloren stand er auf einem riesigen Platz. Das Treiben der anderen umbrauste ihn, ohne dass er begriff, auf welchen Trommler sie hörten.
    Der einzige Ausweg, der ihm einfiel, war die Täuschung. Vom Morgen an bis zum Schlafengehen bemühte er sich um gute Laune, lachte und scherzte mehr als je zuvor in seinem Leben. Niemand sollte ihm anmerken, wie unsicher er war in dieser unverständlichen Welt. Sogar seine Briefe veränderten sich. Immer zuversichtlicher wurden sie und fröhlicher. Nie zuvor hatte er über sich selbst gewitzelt. Nun tat er es mit jedem Satz. Clementine, daheim in Leipzig, am Bettchen ihres neugeborenen Kindes, erkannte ihn kaum wieder.
    Clara teilte die Verunsicherung ihres Vaters nicht. Die neu erworbenen Sprachkenntnisse

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