Das Maedchen am Klavier
Stirn. Clara strahlte, wie Friedrich Wieck es ihr beigebracht hatte, und knickste tief. Mit einem ungeduldigen Tätscheln gab ihr die Prinzessin zu verstehen, sie solle sich wieder aufrichten.
Friedrich Wieck eilte näher und verbeugte sich vor der Gastgeberin, die ihn aber nicht beachtete, sondern ihrem Sekretär einen Wink gab. Dann rauschte sie davon. Wo sie hinging, öffnete sich vor ihr eine Gasse.
Der Sekretär wandte sich an Friedrich Wieck. »Ihre Tochter wird Anfang April im Hôtel de Ville ein Konzert geben«, sagte er, ohne seinen Gesprächspartner richtig anzusehen. »Melden Sie sich morgen Nachmittag in der Verwaltung. Dort wird manIhnen weitere Instruktionen erteilen und über das Honorar sprechen.«
Friedrich Wieck verbeugte sich mehrmals. Er war nicht sicher, ob er alles richtig verstanden hatte. Doch Clara hatte mitgehört und lächelte erleichtert. Auch sie wusste, wie wichtig dieses öffentliche Konzert für ihren Ruf in Deutschland sein würde.
Indessen kratzte Friedrich Wieck seine Französischkenntnisse zusammen. Stotternd versuchte er, sich zu bedanken und zu versichern, seine Tochter werde sich des Vertrauens der Prinzessin würdig erweisen.
Doch der Sekretär hatte keine Geduld. Als wische er ein Insekt beiseite, schob er Friedrich Wieck von sich. Zugleich hielt er ihm einen roten Wildlederbeutel vor die Nase. »Das Honorar für den heutigen Abend, Monsieur«, murmelte er. »Ich denke, Sie können mehr als zufrieden sein.« Dann drehte er sich mit der Bewegung eines Balletttänzers um und blickte suchend über die Menge. Als er die Prinzessin entdeckte, ließ er den Beutel einfach los.
Friedrich Wieck konnte ihn gerade noch rechtzeitig auffangen. Prüfend wog er die Münzen in seiner Hand. »Ganz schön schwer!«, sagte er zu Clara. In diesem Augenblick waren alle Kränkungen und Sorgen vergessen. Ein Konzert im Hôtel de Ville! Ein Tor würde sich öffnen, und Friedrich Wieck wusste, dass seinem Clärchen der Eintritt gelingen würde.
4
Der Frühling kam, milder und sonniger als in den Jahren zuvor. Eigentlich hatte Friedrich Wieck vorgehabt, spätestens Ende März nach Leipzig zurückzukehren. Nun aber stand das große Konzert im Hôtel de Ville bevor. Es würde Clara den endgültigen Durchbruch zu einer europäischen Künstlerin bringen, dessen war Friedrich Wieck sicher. Die Wartezeit gedachte er mit Salonkonzerten gewinnbringend zu überbrücken. Es beunruhigte ihn nur, dass in den letzten Tagen die Einladungen zu wünschenübrig ließen. Die Fastenzeit bremste den Strom der Festivitäten, aber noch mehr die Gerüchte, die man sich hinter vorgehaltener Hand zuflüsterte – erst ganz verstohlen, dann immer offener, auch wenn auf Intervention der Behörden in den Zeitungen noch nicht darüber berichtet wurde: Reisende aus England hätten die Cholera eingeschleppt. Auch in Paris habe es bereits Tote gegeben, allerdings nur unter den Ärmsten der Armen, die ihren Durst direkt aus dem Fluss stillten und deren Körper bereits durch Hunger geschwächt waren.
Noch sorgte man sich wenig. In England war die Seuche milde verlaufen, beruhigte man sich. In ein, zwei Wochen werde alles vorbei sein. Friedrich Wieck erinnerte sich, dass man vor ein paar Monaten auch in Sachsen und Berlin mehrere Fälle von Cholera gemeldet hatte, dass die Krankheit aber bald wieder versiegt war wie ein Rinnsal, das in der Sonne vertrocknet. Mit diesem Argument versuchte er auch seinen Schwager zu besänftigen, der ihm mitteilte, er werde sich noch heute mit seiner gesamten Familie aufs Land begeben.
»Wir werden bei meinen Schwiegereltern wohnen, bis alles vorbei ist«, erklärte Eduard bedrückt. »Ich kann euch nur raten, ebenfalls schnellstens abzureisen. Was ist dir wichtiger, Friedrich, dieses Konzert oder euer Leben?« Damit verabschiedete er sich, ohne auf einer Antwort zu bestehen. »Dein Fanatismus wird euch noch umbringen«, fügte er hinzu und reichte Clara einen Rosenkranz, den ihm seine Frau mitgegeben hatte. »Vielleicht hilft es«, sagte er ein wenig verlegen, Sohn eines protestantischen Pastors, der eigentlich mit Rosenkränzen nichts im Sinn hatte. Aber seine Frau glaubte daran, und man wusste ja nie ... Dann verließ er das Hotel.
Friedrich Wieck und Clara begleiteten Eduard noch bis auf die Straße. »Vielleicht sehen wir einander nie wieder«, sagte er und umarmte Clara. »Hört auf mich, fahrt nach Hause!« Damit machte er sich los und eilte davon. Friedrich Wieck schaute ihm
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