Das Mädchen am Rio Paraíso
Sobald sie sicher im Sattel saß, würde er sie von der Schmach befreien, vor aller Augen im Hof zu üben und sich dem Gerede der Leute auszusetzen. Er würde sie zu einem Ausritt mitnehmen und ihr seine Ländereien zeigen. Die Vorfreude auf diesen hoffentlich nicht mehr allzu fernen Tag ließ sein Herz einen Hüpfer machen.
Gerade als es draußen im Hof lustig zu werden versprach, weil Klara schief im Sattel hing und herunterzufallen drohte – ein Spektakel, das er genauso wenig verpassen wollte wie irgendeiner seiner Leute, die schon die ganze Zeit auf so etwas warteten –, klopfte der Hausbursche an der Tür seines Arbeitszimmers. Bevor Raúl »herein« rufen konnte, stand der junge Schwarze schon bei ihm und reichte ihm die Zeitungen, die eben am Hintereingang abgeliefert worden waren. Raúl nahm sie entgegen, warf sie achtlos auf seinen Sekretär und widmete sich wieder der Unterhaltung, die Klara ihnen allen unfreiwillig bot.
Doch er hatte den entscheidenden Moment verpasst. Klara stand neben dem Gaul, klopfte sich den Staub von ihrem Hinterteil und zog eine erboste Miene. Sie war fuchsteufelswild, das ahnte Raúl, aber niemals hätte sie sich die Blöße gegeben, herumzuzetern, laut zu fluchen, das Pferd anzuherrschen oder gar Rodrigues zurechtzuweisen, obwohl sowohl das Tier als auch der Reitlehrer es verdient gehabt hätten. Raúl meinte aus dem Wiehern der lammfrommen alten Stute Häme herauszuhören, und die Miene von Rodrigues war unverhohlen höhnisch. Mit dem Rest an Würde, der ihr verblieben war, machte Klara sich daran, wieder aufzusteigen.
Wie viele Frauen gab es, die diesen Mumm besaßen? Die nicht einfach aufgaben, wenn es schwierig wurde, die nicht klagten, wenn sie einen Rückschlag erlitten, sondern die aufstanden und ihr Ziel weiterverfolgten? Bestimmt nicht viele. Und schon gar nicht viele, die so hübsch waren.
Raúl fand Klara einfach großartig. Am liebsten hätte er ihr den ganzen Tag zugesehen. Aber er hatte noch allerhand zu erledigen. Und ein Blick in die Zeitung könnte auch nicht schaden.
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34
I ch stickte in jeder freien Minute. Es sollte das schönste Taufkleid werden, das die Welt und erst recht São Leopoldo je gesehen hatten. Natürlich standen mir weder Seide noch Silberfäden zur Verfügung, kein zarter Batist und keine Perlenknöpfchen. Aber im Rahmen unserer Mittel war das Stück oder das, was davon bereits fertiggestellt war, wirklich atemberaubend. So etwas Feines war mir noch nie gelungen. Das Kleid bestand aus einfacher weißer Baumwolle, in die ich jedoch so viele Rüschen und Falten und Biesen eingearbeitet hatte, dass es ebenso gut aus dem edelsten Gewebe hätte sein können. Die obere Schicht dieser opulenten, duftigen Stoffwolke hatte ich mit rosafarbenem und hellgrünem Garn bestickt. Da rankten sich die phantasievollsten Blumen und Zweige und Knospen – hätte ich mit mehr Farben arbeiten können, wäre es der reinste Paradiesgarten geworden. Aber es sollte ja ein Taufkleid und daher vorwiegend weiß sein. Also hatte ich mich für diese Farbkombination entschieden, die unauffällig und dabei trotzdem elegant war. Auf den ersten Blick wirkte mein Werk zart und transparent. Nur wer genau hinschaute, der konnte den Aufwand ermessen, den ich mit diesem Taufkleid betrieb. Und es war längst nicht fertig. Bis zum Tag von Hildchens Taufe in einer Woche sollte es noch verschiedene Verbesserungen erfahren.
Mit einem der letzten Schiffe war auch ein Pfarrer aus dem Schwäbischen eingetroffen. Wir alle, die katholischen Glaubens waren, hatten ihn sogleich mit zahlreichen Wünschen bestürmt. Beichten wollten wir ablegen, eine Sonntagsmesse besuchen können, für die Kinder Katechismusunterricht haben. Dass der arme Mann, genau wie alle anderen, zunächst eine Bleibe errichten und sich einleben musste, nahmen wir nur widerwillig hin. Selbstverständlich halfen wir ihm nach Kräften, denn wenn schon keine Kirche da war, so musste doch wenigstens ein Pfarrhaus her. Kaum stand das Häuschen, fragte ich bei ihm an, wann er Hildchen taufen könne.
Dass die Taufe mit schlammigem Wasser aus dem Rio dos Sinos vollzogen werden würde, war mir gleich. Der Pfarrer Zeller würde es ja zuvor segnen. Auch die fehlende Kirche fehlte mir nicht sehr, denn wo keine Kirche war, da würde der liebe Gott schon seinen Weg in das kleine Pfarrhaus finden. Nur ein Taufbecken vermisste ich. Sollten wir dem armen Kind etwa Wasser aus einem Blecheimer auf die Stirn träufeln? Auf
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