Das Mädchen am Rio Paraíso
keinen Fall! Ich fragte also den Friedhelm, der Steinmetz war, ob er nicht ein wenig Zeit erübrigen könne, ein einfaches Taufbecken herzustellen. Er willigte sofort ein, nicht, weil er es als seine christliche Pflicht betrachtete, sondern weil er froh war, mir einen Gefallen tun zu können. Ich wusste das, aber der Zweck heiligte schließlich die Mittel, oder? Und der Zweck, nämlich die Taufe meiner Tochter über einem ordentlichen Taufbecken, war mir wichtiger als alles andere.
Als der Tag endlich gekommen war, erwachte ich voller Ungeduld und Vorfreude. Das Wetter war traumhaft, wie es das den ganzen September über nicht gewesen war: trocken, mit strahlend blauem Himmel und Frühlingstemperaturen. Ein gutes Zeichen. Auch Hannes war wohlgemut – nachdem er sich einmal damit abgefunden hatte, dass seine Tochter von einem katholischen Pfarrer getauft werden sollte, freute er sich jetzt auf das große Ereignis. Wir badeten unser Hildchen, kämmten ihren dünnen Flaum und verpackten sie in eine doppelte Schicht Windeln. Dann zogen wir ihr das wunderschöne Taufkleid an sowie die dazu passende Mütze, die ich gehäkelt und ebenfalls in Rosa und Hellgrün bestickt hatte. Bei all diesen Verrichtungen half mir Hannes, was ich sehr rührend fand. Er war so vernarrt in seine Tochter, dass es ihm nicht einmal etwas ausmachte, wenn er unmännlich wirkte. Was er natürlich gar nicht tat. Mir jedenfalls erschien er dadurch nur männlicher, denn es erforderte einiges an Selbstbewusstsein, seine Liebe so zeigen zu können.
Hilde sah hinreißend aus in ihrem Aufzug. Doch auch Hannes und ich hatten uns schön gemacht. Hannes trug einen einfachen, aber ordentlichen schwarzen Anzug, den er sich von einem der Kolonisten geliehen hatte, die nicht zur Taufe kommen würden. Dazu hatte ich ihm aus der weißen Baumwolle, die ich auch für das Taufkleid verwendet hatte, ein Hemd genäht. Seine Schuhe hatte ich mit sehr viel Schuhwichse auf Hochglanz poliert, so dass sie nicht gar so unangenehm auffielen. Seinen Hut hatte ich stundenlang gebürstet, mit Wasserdampf in Form gebracht und mit einem neuen Band versehen. Insgesamt war Hannes solchermaßen herausgeputzt eine sehr respektable Erscheinung, und ich konnte mich gar nicht sattsehen an ihm. Es war ewig her, seit ich ihn in anständiger Garderobe gesehen hatte.
Ich gab ihm einen Kuss, und er erwiderte meine Zärtlichkeit, indem er den Arm um mich legte, mich zu sich heranzog und mir ins Ohr raunte: »Klärchen Wagner, du bist das zweitsüßeste Mädchen weit und breit.«
Ich rückte etwas von ihm ab, um meiner spontanen Entrüstung Ausdruck zu verleihen – »also ehrlich, Hannes …« –, als er laut herauslachte: »Das süßeste ist Hildchen. Das wirst du doch wohl zugeben müssen.«
Ich stimmte in sein Lachen mit ein und ließ mir einen sehr innigen Kuss gefallen. Dann löste ich mich aus der Umarmung und drehte mich vor ihm. Es war herrlich, Komplimente zu bekommen, und ich wollte noch eines hören.
Ich hatte mein bestes, allerdings abgetragenes Kleid mit viel Mühe aufgearbeitet, so dass es jetzt fast wie neu wirkte. Genau genommen sah es jetzt sogar besser aus als im Neuzustand, denn ich hatte es mit üppigen Stickereien verziert, die den verblichenen Baumwollstoff in den Hintergrund treten ließen. Dazu hatte ich an den Ärmeln, am Rocksaum sowie im Ausschnitt eine Häkelbordüre angebracht, so dass ich in dem Kleid insgesamt einen sehr adretten Eindruck machte. Mein Haar hatte ich mir zu dem besonderen Anlass aufgesteckt, und obwohl man unter der weißen Haube nicht viel von der schönen Frisur sah, nahmen sich die einzelnen Haarsträhnen, die ich kokett daraus hervorlugen ließ, sehr hübsch aus. Ich hatte sehr viel mehr Zeit, als es ein Pfarrer gutgeheißen hätte, vor dem Spiegel verbracht, den wir mittlerweile angeschafft hatten. Er war zwar klein und erlaubte keinen Blick auf die ganze Gestalt, aber mein Gesicht konnte ich darin bewundern. Es gefiel mir.
Die Mutterschaft hatte mir gutgetan. Ich hatte gottlob keinen einzigen Zahn während der Schwangerschaft eingebüßt, mein Gebiss war weiterhin makellos, wenn man einmal von dem leicht schiefstehenden Schneidezahn absah. Ich hatte durch die viele Arbeit im Freien, trotz des ständigen Tragens eines Hutes, eine leichte Bräune, die auf manch einen vielleicht ordinär gewirkt hätte, mir aber zusagte. Sie gab mir ein gesundes Aussehen. Dasselbe traf auf die Sommersprossen zu, die sich über meine Nase zogen. Ich
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