Das Mädchen am Rio Paraíso
bei den paar Spaziergängen, die sie gemacht hatte, war sie von den Feldarbeitern misstrauisch beäugt worden. Überhaupt war das Reiten eine Kunst, die zu beherrschen ihr auch für die Zukunft sinnvoll erschien. Spätestens im Juni, wenn sie zurück an die Küste fuhren, wäre sie froh, wenn sie sich nicht wieder blaue Flecken an ihrem Gesäß zuziehen würde, so wie es bei der Hinreise der Fall gewesen war. Wenn sie gelegentlich ihre Sitzposition ändern konnte, käme ihr die Strecke vielleicht auch nicht mehr ganz so endlos vor.
»Na schön, abgemacht. Rodrigues gibt dir Reitunterricht – wobei ich nicht weiß, ob er sich mit Damensattel auskennt. Ach, das wird er schon irgendwie hinbekommen. Zuvor müssen wir dir allerdings die richtige Garderobe dafür beschaffen. Feste Stiefel, ein Kleid aus belastbarem Stoff, einen Hut.«
»Nein, keine Kleider!«, rief Klara aus. Wenn sie geahnt hätte, dass der Reitunterricht einherging mit weiteren allzu großzügigen Geschenken von Raúl, hätte sie das Angebot von vornherein abgelehnt. Sie kam sich vor wie ein Kind, das nach Strich und Faden verwöhnt wurde, oder wie eine Spielzeugpuppe, deren hübsche Ausstaffierung den Ehrgeiz Raúls herausforderte. Das alles verursachte Klara nicht nur Unbehagen, sondern es erschien ihr auch nicht recht. Was sollten denn die anderen Leute denken? Dass sie die Braut des Hausherrn war? Ach du liebe Güte!
Genau das dachten die anderen. Obwohl Raúl seinen Gast als »eine Bekannte« bezeichnete und Teresa sie »unseren Schützling« nannte, waren die Sklaven davon überzeugt, Klara sei die zukünftige Frau ihres Dienstherrn. Sie wunderten sich, warum er sich eine so blasse, dünne Person ausgewählt hatte, die immerzu lächelte, leise sprach und verschüchtert wirkte. Der Senhor Raúl hatte doch wahrhaftig genügend Verehrerinnen, etwa die dralle Inês vom Nachbarhof, oder die feurige Dora aus der Familie des Großgrundbesitzers Lima Oliveira.
Vielleicht gefielen dem Senhor Raúl ja genau die weiße Haut, die hellen Augen und das blonde Haar von Klara. Das Stubenmädchen Maria José hatte herausgefunden, dass die junge Frau sogar blondes Schamhaar hatte, und das war natürlich etwas, da waren sich alle einig, was durchaus die Neugier eines Mannes wecken konnte, obwohl es, auch da herrschte Einhelligkeit, irgendwie widernatürlich war. Jede wollte nun einen Blick auf das goldene Vlies werfen, und so wurden Klaras Bäder jeden Tag von einem anderen Mädchen eingelassen, bis das gesamte weibliche Hauspersonal es gesehen hatte.
Sie wunderten sich ebenfalls darüber, warum Klara und Raúl sich so gar nicht verliebt gaben, sondern im Gegenteil einander auszuweichen schienen. Dabei sah doch jedes Kind, dass er sie mit Blicken verschlang – warum auch immer, denn an ihr war ja außer der nur auf den ersten Blick aufregenden Farblosigkeit nichts dran – und dass sie ihn von fern anhimmelte. Sie stand manchmal eine halbe Ewigkeit am Fenster und sah Raúl versonnen dabei zu, wie er sein Pferd sattelte oder seine Männer instruierte. Bei der eigentlichen Arbeit konnte sie ihm nicht zuschauen, denn vom Haus aus sah man nicht die Bereiche des Hofs, in denen es rauh und schmutzig zuging.
Vollends irritiert aber waren die anderen Bewohner des Guts, als Klara, wenige Tage nach ihrem Gespräch mit Raúl und nunmehr mit einem modischen Reitdress ausgestattet, das die Schneiderin in Rekordzeit angefertigt hatte, im Hof auf einem Pferd ihre Runden drehte. Rodrigues, von dem keiner mehr wusste, wie er eigentlich mit Vornamen hieß, stand daneben, hielt das Pferd an einer Leine und machte ein blödes Gesicht. Er hielt diese Aufgabe eines Gaúchos für unwürdig, hatte sich aber dem Wunsch seines Brötchengebers gefügt. Klara schaute nicht minder unglücklich aus der Wäsche. Sie war sich der neugierig gelupften Vorhänge hinter den Fenstern und des Getuschels der Männer durchaus bewusst. Aber, dachte sie sich, die konnten ihr alle gestohlen bleiben. Keinen von diesen Leuten würde sie je wiedersehen. Stolz hob sie den Kopf und folgte den Anweisungen von Rodrigues, als seien sie, das Pferd und er allein auf der Welt.
Auch Raúl gehörte zu den heimlichen Beobachtern des Reitunterrichts. Er war hingerissen von Klaras Haltung, aus der große Würde und enormes Selbstbewusstsein sprachen. In der neuen Montur, die sie trug, wirkte sie sehr damenhaft, sehr erwachsen. Sie stellte sich außerdem einigermaßen gelehrig an, und Raúl war stolz auf sie.
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