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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wusste, dass sie bei feinen Leuten als Schönheitsmakel galten, doch ich mochte die görenhaft verschmitzte Anmutung, die sie mir verliehen. Außerdem war ich ein wenig fülliger geworden, wobei ich weit davon entfernt war, als dick bezeichnet zu werden. Ich hatte runde Wangen, einen glatten Hals und ein volles Dekolleté.
    Einzig mit dem Anblick meiner Hände haderte ich. Sie waren von Natur aus schmal, und meine Finger waren verhältnismäßig lang. Bei einer Frau, die weniger harte Arbeit mit ihren Händen verrichten musste und die Zeit und Muße für deren Pflege hatte, hätten es sehr schöne Hände sein können. Bei mir jedoch waren sie spröde geworden, die Nägel waren kurz und eingerissen. Auf den Handrücken hatten sich ebenfalls Sommersprossen gebildet, die hier jedoch so gar nichts Freches oder Lustiges hatten, sondern einfach nur aussahen wie Altersflecken. Die Fingerknöchel waren rot und rissig, und die Innenfläche war eine einzige Schwiele.
    Feine Ausgehhandschuhe, um dieses Elend zu bedecken, besaß ich nicht. Ich hätte mir welche häkeln können, wenn ich denn vor lauter anderen Handarbeiten – das Taufkleid, Hannes’ Hemd, meine eigene Garderobe – dazu gekommen wäre. Aber im Grunde war es nicht wichtig. Wir alle hier in der Colônia Alemã hatten Ähnliches erlebt und hatten ähnlich bäurische Hände. Außer mir fiel es sicher niemandem auf.
    Ich vollführte eine weitere graziöse Drehung vor Hannes, um noch ein Kompliment herauszufordern. Und es gelang mir auch.
    »Du siehst genauso aus wie vor zwei Jahren, als wir uns, ähm, zum ersten Mal geliebt haben«, sagte er. »Das begehrteste Mädchen im Dorf.« Damit griff er meine Hand, zog mich wieder zu sich heran und küsste mich. Doch seine Bemerkung hatte bei mir keine Freude, sondern Nachdenklichkeit ausgelöst. War es wirklich erst zwei Jahre her, dass ich meine Unschuld an Hannes verloren hatte? Mir kam es vor wie eine Ewigkeit. Das Mädchen von einst, das sich für unwiderstehlich gehalten hatte und das davon überzeugt gewesen war, es sei zu Höherem berufen, war nur mehr eine blasse Erinnerung, wie man sie vielleicht an eine vor vielen Jahren verstorbene Tante hegte. Das Klärchen von früher, ein wenig hochmütig, ein wenig unbedarft, war irgendwo zwischen damals und heute verlorengegangen. In nur zwei Jahren!
    Das heißt, so ganz war es auch wieder nicht verschwunden. Mein altes Selbst war von Friedhelm wieder zum Leben erweckt worden, und heute kam es endlich auch vor Hannes wieder zum Vorschein. Vielleicht war doch noch nicht Hopfen und Malz verloren. Und ging es mir im Grunde jetzt nicht viel besser als früher? Wir hatten genug zu essen, wir bearbeiteten unser eigenes Land, lebten in unserem eigenen Haus. Wir mussten uns von keinen Eltern oder Schwägern Vorwürfe anhören. Ich hatte einen wunderbaren Mann, der tüchtig war und gut aussah, und eine gesunde, bildschöne Tochter. Was zählten da schon das bisschen Heimweh oder das Verlangen nach mehr Vergnügungen?
    Ob es an der feierlichen Stimmung oder aber an dem herrlichen Frühlingswetter lag, wusste ich nicht. Aber plötzlich war mir, als strahlte die Sonne direkt in meine Seele. Auf einmal nahm ich mein Schicksal mit ganz anderen Augen wahr. Vielleicht trug auch unsere Aufmachung einen Teil dazu bei, denn Kleidung kann ja einen ganz anderen Menschen aus einem machen. Doch bevor ich darüber länger nachgrübeln konnte, zog Hannes mich hinter sich her aus dem Haus. »Komm schon, es wird Zeit. Nachher verpassen wir noch die Taufe unserer eigenen Tochter.«Vor dem Pfarrhaus wartete bereits eine Gruppe von Gästen. Auch die Taufpaten waren schon eingetroffen: Christel und Franz Gerhard. Es war nicht üblich, Ehegatten als Taufpaten für ein Kind zu wählen, aber angesichts der Umstände war uns nicht viel anderes übriggeblieben. Weder Hannes noch ich wollten, dass Hilde, wenn uns je etwas zustoßen würde, etwa bei den Schmidtbauers aufwuchs, so gut sie ihre eigenen Kinder erzogen haben mochten. Auch die Eheleute Schlenz hatten wir gar nicht erst gefragt, denn so weit ging unsere Freundschaft dann doch noch nicht.
    Alle hatten sich nett herausgeputzt, wobei wir mit Abstand am besten gekleidet waren. Den kleinen Riss in Hannes’ Hose, den er sich unterwegs auf dem Karren an einem Nagel zugezogen hatte, sah man gar nicht. Und wenn ich die Hose erst genäht hätte, würde auch ihr Besitzer nichts mehr von dem Riss sehen. Hilde, die friedlich auf Hannes’ Armen schlummerte,

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