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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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geschweige denn den Tisch gedeckt hatte. »
Dich
dagegen kannst du sehr wohl füttern, und ich schlage vor, dass du genau das jetzt tust. Mir ist der Hunger vergangen. Gute Nacht.«
    Ich drehte mich auf dem Absatz um, ging in unsere Schlafkammer und knallte die schöne Tür hinter mir zu. Gedämpft vernahm ich das leise Wimmern von Hilde, das im selben Augenblick einsetzte. Während ich unter anderen Umständen sofort zu ihr geeilt wäre, um ihr die Brust zu geben oder sie zu wickeln, hatte ich nun das genugtuende Gefühl, recht behalten zu haben.
    Doch irgendwo in meinem Hinterkopf machte sich zaghaft das Stimmchen meines schlechten Gewissens bemerkbar. Für Hannes musste es sich tatsächlich so darstellen, als habe ich erst wegen des Chors meine hausfraulichen Pflichten vernachlässigt und vergaß jetzt obendrein meine mütterlichen.
    Durch meinen Trotz hatte ich ihm noch Munition für seine ungerechte Sichtweise geliefert. Ich nahm mir fest vor, in Zukunft überlegter zu handeln.

[home]
33
    D as Zimmer, das man Klara auf der »Herdade da Araucária« zuwies, hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit dem, das sie in Raúls Stadtresidenz bewohnt hatte. Es war größer, doch es war beinahe genauso karg eingerichtet. Jedes Möbelstück war von guter Qualität, der Holzboden war auf Hochglanz gewienert, die Wände waren frisch geweißt und die Bettwäsche steif vor Stärke. Doch genau wie ihre Kammer in Porto Alegre war es vollkommen schmucklos: keine Bilder, keine Zierkissen, keine bauschigen Gardinen. Es war von klösterlicher Anmut und Schlichtheit. Es war sehr maskulin. Und trug unverkennbar die Handschrift des Hausherrn.
    Teresa hatte gemeint, sich dafür entschuldigen zu müssen, aber Klara mochte den Raum, gerade
weil
er so sehr an Raúl erinnerte. Bestimmt hatte Raúl, als er das Haus eingerichtet hatte, geglaubt, ohne schmückendes Zubehör verrate das Haus nicht allzu viel über seinen Besitzer. Doch das Gegenteil war der Fall. Klara fand die völlige Abwesenheit von Zierat aller Art sehr aufschlussreich. Sie passte genau zu seiner spröden Art, zu seiner bewussten Ablehnung von überschwenglichen Gefühlsäußerungen und sentimentalen Anwandlungen. Dies war das Haus eines Mannes, der andere seine Empfindungen nicht sehen lassen wollte – was ja an sich schon für eine gewisse Art von Empfindsamkeit sprach.
    Ganz neu hingegen war für Klara die permanente Gegenwart dienstbarer Geister. Auf dem Hof lebten etwa fünfzig Sklaven, mindestens zehn von ihnen waren Haussklaven. Keinen Handgriff durfte Klara allein tun. Immer war irgendjemand in der Nähe, der hinter ihr herräumte, sie ankleiden oder frisieren wollte, ihr Gebäck und Kaffee servierte, ihr ihre Sticksachen nachtrug und ihr gar Luft zufächelte, wenn sie auf dem Schaukelstuhl auf der Veranda saß und auch nur ein Hauch von Schweißfilm auf ihrer Stirn erschien.
    Es war Klara sehr unangenehm, dass sie hier wie eine Königin hofiert wurde. Sie kam sich vor wie eine Hochstaplerin. Sie wurde für eine andere gehalten als die, die sie war, und vor lauter Schüchternheit, den Fehler aufzuklären, spielte sie die Rolle dieser anderen Person. Immerzu fürchtete sie, nun jeden Augenblick entlarvt und verspottet zu werden. Sie, Klara Wagner, war doch nicht mehr als ein Bauernmädchen! Nur eine merkwürdige Fügung des Schicksals hatte sie auf dieses Landgut verschlagen, wo trotz der betont schmucklosen Einrichtung ein sehr gehobener Lebensstil gepflegt wurde, der sie vollkommen überforderte.
    Klara kannte weder die Speisen, die auf den Tisch kamen, noch wusste sie, welches Besteck oder welches Glas zu benutzen war. Sie beobachtete Raúl lauernd und machte ihm alles nach. Sie wusste nicht, wie man mit Dienstboten umging, und manchmal beschlich sie das ungute Gefühl, sie sei vielleicht zu freundlich zu ihnen und würde dafür verachtet werden. Das war hier nicht anders als im Hunsrück: Denen, die einen am schlechtesten behandelten, brachte man den größten Respekt entgegen. Dennoch konnte Klara nicht aus ihrer Haut. Sie bedankte sich weiterhin für jede Hilfe und jeden Dienst, den man ihr erwies. Sie lächelte die Sklaven nett an, und sie entschuldigte sich ständig für Dinge, mit denen sie unwissentlich die Ordnung des Hauses durcheinandergebracht hatte.
    Und davon gab es jede Menge. Sie hatte blühende Zweige abgeschnitten und in eine Vase im Salon gestellt, die kurz darauf dort entfernt und in Klaras Zimmer geschafft wurde. Sie hatte den falschen

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