Das Mädchen am Rio Paraíso
war so groß, dass sie beinahe laut aufgeschluchzt hätte. Die Zurückweisung zerriss ihr fast das Herz. Dennoch blieb sie nach außen gefasst. Eisig erwiderte sie nur: »Ja.«
Auf dem Heimritt waren beide in Gedanken versunken. Wie schon auf dem Hinweg sprachen sie kein Wort miteinander, sondern warfen sich nur gelegentliche lauernde Blicke zu. Doch diesmal war die Stille zwischen ihnen nicht friedlich und entspannt.
Sie war erdrückend.
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36
D er Hofer-Kurt bekam seinen Anzug in besserem Zustand zurück, als wir ihn bekommen hatten. Ich wäre lieber gestorben als ihm eine Hose mit Riss zurückzugeben, und als ich das gute Stück flickte, besserte ich auch gleich noch ein paar andere Dinge aus. Ich nähte die Knöpfe wieder gut an, befestigte den Saum, wo er sich gelöst hatte, und stopfte ein Loch in der Jackentasche.
Schwieriger war die Wunde, die Hannes sich zugezogen hatte. Es war zunächst nur eine winzige Schramme gewesen, die er während der Taufe und auch an den beiden Tagen darauf überhaupt nicht bemerkt hatte. Bei der vielen Arbeit im Freien, oftmals noch immer inmitten von Gestrüpp, waren wir ständig voller Kratzer und blauer Flecken. Dann, am dritten Tag, begann die Schramme zu nässen. Sie hatte sich entzündet, was wir nicht weiter ernst nahmen. Wir hatten die Erfahrung gemacht, dass die meisten kleineren Verletzungen dieser Art am allerbesten heilten, wenn man gar nichts unternahm. Doch diese Wunde tat das nicht. Sie wurde immer hässlicher, eiterte und schmerzte. Auch das ignorierten wir mehr oder weniger. Wir wuschen die Stelle gründlich, trugen unsere Allzwecksalbe auf und hofften, dass der Spuk bald ein Ende haben würde.
Aber es wurde immer schlimmer. Rund um die Schramme, die inzwischen aussah wie eine böse Wucherung, verfärbten sich die Adern. Hannes Wade war dichtbehaart, so dass wir das erst recht spät bemerkt hatten. Wir rasierten die Haut rund um die Verletzung, um genauer erkennen zu können, was sich da tat. Es sah nicht schön aus. Dann bekam Hannes Fieber. Und ich war zunehmend beunruhigt. Ich würde einen Fachmann hinzuziehen müssen. Dass auf einem der jüngst angekommenen Schiffe auch ein Apotheker dabei gewesen war, hatte sich sogar bis zu uns herumgesprochen. Der war zwar kein Arzt, aber doch besser als nichts.
Der Apotheker war ein wunderlicher Typ, mit struppigem Bart und merkwürdiger Kleidung – ganz so, wie man sich einen zerstreuten Professor vorstellte, nur dass unserer hier sich einen Schleier an den Hut geheftet hatte und einen breiten Gürtel trug, in dem er Röhrchen, Messer, Pinzetten und alle möglichen mir unbekannten Gerätschaften mit sich herumtrug. Als ich bei seiner Hütte eintraf, verließ er diese gerade in seiner komischen Montur. Offenbar war er auf dem Weg in den Busch.
»Gott zum Gruße«, stellte ich mich artig vor. »Ich bin Klara Wagner, drüben von der Baumschneis, und Sie müssen mir helfen.«
»Mein liebes Kind, nichts lieber als das. Aber wie du siehst, bin ich gerade im Begriff, meine Feldstudien zu betreiben. Könntest du vielleicht am frühen Abend wiederkehren?«
Es störte mich, dass er mich duzte. Wenn ich Hildchen dabeigehabt hätte, wäre das wahrscheinlich nicht passiert. So jedoch hielt er mich anscheinend für ein junges Mädchen.
Noch mehr irritierten mich allerdings diese geheimnisvollen »Feldstudien«. Was hatte das zu bedeuten? Nun, das würde ich später ergründen. Jetzt ging es allein um Hannes.
»Nein«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich bin den ganzen Weg zu Fuß gekommen, nur um Sie zu sprechen. Bitte, lieber Herr Apotheker Breitner – mein Mann hat eine sehr üble Verletzung, und jetzt hat er auch noch Fieber.«
Der Apotheker sah mich stirnrunzelnd an. »Ich bin kein Arzt. Und ich bin auch kein Apotheker – jedenfalls nicht in dem Sinne, wie Sie alle es hier zu verstehen scheinen. Es ist eine Art Spitzname, den mir einer gleich bei meiner Ankunft verliehen hat. Eigentlich bin ich Biologe. Gestatten, Professor Dr. Alfons Breitner.« Damit reichte er mir die dürre Hand. Sein Händedruck war schlaff.
Mir fiel auf, dass er mich jetzt siezte – sicher wegen der Erwähnung meines Mannes. Aber Genugtuung konnte ich darüber keine empfinden. Denn dass er kein echter Apotheker war, versetzte mir einen kleinen Schock. Was sollte ich mit einem Biologen? Und was hatte er hier überhaupt verloren?
Die Antwort darauf gab er mir selber.
»Ich erforsche Heilpflanzen. Hier im Dschungel gibt es einen
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