Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
Vom Netzwerk:
phantastischen Artenreichtum und unzählige Gewächse, die wir in Europa noch gar nicht kennen. Einige davon sind sicher von großem pharmazeutischem Nutzen. Nehmen Sie nur die
Tagetes erecta Linnaeus,
deren entzündungshemmende Wirkung bei den Ureinwohnern …«
    Als ich ihn über die entzündungshemmende Wirkung sprechen hörte, war ich so erleichtert, dass ich ihm ins Wort fiel. »Aber genau das brauchen wir doch!«
    »Gewiss, gewiss.« Der »Apotheker« wirkte auf einmal ein wenig abwesend, als sei ihm eingefallen, dass er etwas überaus Wichtiges im Haus vergessen hatte. »Aber«, fuhr er fort, »die
Tagetes erecta
wächst in diesen Breitengraden nicht. Es handelt sich um eine Pflanze, die wir aus den weitaus besser erforschten Trockenklimaten im Norden kennen, und zwar auch unter dem indigenen Namen
Cempasúchil.
Ihr Hauptverbreitungsgebiet sind Mexiko sowie die südlichen Regionen der …«
    Erneut unterbrach ich ihn. Mir stand wirklich nicht der Sinn danach, mir gelehrte Vorträge über irgendwelche Wunderpflanzen anzuhören, die in der Wüste wuchsen und nicht hier im Urwald.
    »Um Gottes willen, sehr geehrter Herr Professor Apotheker Breitner«, flehte ich ihn an, vor Aufregung die korrekte Anrede nun vollends durcheinanderbringend, »können Sie nicht einfach mit zu uns kommen und sich den Hannes, ich meine, meinen Mann, einmal ansehen? Sie verstehen doch offensichtlich mehr von solchen Sachen als wir. Und außerdem, falls Sie sich gerade auf den Weg zum Pflanzensammeln machen wollten: Bei uns wachsen diese ganzen verrückten Dinger auch alle.«
    »Na schön«, lenkte er ein. »Aber ohne Gewähr auf Erfolg. Und nur unter der Bedingung, dass Sie keiner Menschenseele davon erzählen – nachher werde ich wie ein Wald-und-Wiesen-Doktor bei jedem Zipperlein gerufen.«
    Dass die Leute, die sich hier niedergelassen hatten, ganz bestimmt nicht bei jedem Wehwehchen einen Arzt rufen würden, selbst wenn es Hunderte davon gäbe, sagte ich ihm nicht. Ich wollte ja nicht riskieren, dass er es sich noch anders überlegte.
    Er ging, ohne einen Ton zu sagen, in die Hütte zurück. Mich ließ er einfach vor der Tür stehen. Ich sagte mir, dass er von drinnen vielleicht ein paar Arzneien holen wollte, und geduldete mich. Nach wenigen Minuten kam er zurück, eine Tasche in der Hand.
    »Medikamente«, sagte er. »Einige davon habe ich selbst zusammengestellt, zum Teil bereits mit hiesigen Arzneipflanzen. Der Siedlungsbeauftragte der Regierung, der ehrenwerte Senhor Pinheiro, war so freundlich, mich mit einem Stammeshäuptling der Guaraní bekannt zu machen, der wiederum sehr bereitwillig meine Fragen beantwortete, natürlich mehr mit Gesten als mit Worten, wenn Sie verstehen. Die Indianer besitzen ein bemerkenswertes Wissen über die Dschungelgewächse und ihre Wirkungsweise …« Er plapperte weiter vor sich hin, doch ich hörte ihm schon gar nicht mehr genau zu. Wir gingen zu dem Pferdefuhrwerk, das der »Apotheker« besaß und das ihn als einigermaßen vermögenden Mann auswies. Während er das Pferd anspannte, hörte er keine Sekunde lang auf, über seine Forschung zu reden. Ich jedoch war in Gedanken woanders. Was, wenn seine selbstentwickelten Arzneien giftig waren oder völlig wirkungslos? Würden sie meinen Hannes nur noch kränker machen? Aber was hatten wir schon zu verlieren? Wir hatten es mit Nichtstun versucht, und dabei war Hannes’ Zustand immer schlechter geworden. Wir hatten es mit Wasser und mit der Fettsalbe versucht, ohne Erfolg. Alles, sogar dieser falsche Apotheker, wäre besser als tatenlos zuzusehen, wie Hannes immer mehr litt.
    »So, wo geht es denn lang zu Ihnen?«, fragte mich der Professor Breitner, als wir auf dem Gefährt saßen.
    Ich riss ungläubig die Augen auf. Was wollte das für ein Forscher sein, der nicht einmal wusste, wo sich die Baumschneis befand? Sie war zu einer der »Hauptstraßen« geworden. Wahrscheinlich kroch er einfach zu viel durchs Unterholz, auf der Suche nach unbekannten Kräutchen und Gräsern, als dass er die grobe Struktur unserer Siedlungen begriffen hätte.
    »Links herum. Dann immer geradeaus. Richtung Nordwesten.«
    »Ah. Gut.« Er ließ die Gerte auf den Gaul niedersausen. Wir holperten schneller über die Wege, als es deren Zustand erlaubte, aber ich beklagte mich nicht. Ich war froh, dass der »Apotheker« ein so zügiges Tempo fuhr, und nahm gerne ein paar blaue Flecken an meinem Gesäß dafür in Kauf.
    Wir erreichten unser Haus nach vielleicht einer

Weitere Kostenlose Bücher