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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Obwohl Zorn in mir aufwallte, blieb ich nach außen gefasst. Wenn es stimmte, was der Professor behauptete, dann blieb uns wohl kaum etwas anderes übrig. Ich wollte lieber den ganzen Mann retten als nur sein Bein. Dennoch: Mir Hannes als Krüppel vorzustellen trieb mir Tränen der Verzweiflung in die Augen. Wie sollten wir hier draußen überleben, wenn Hannes nur noch mit halber Kraft vorankam?
    Der Forscher trank einen Schluck Wasser und fuhr fort: »Natürlich sollten wir die Entscheidung darüber Ihrem Mann überlassen, nicht wahr, junge Frau?«
    »Und warum erzählen Sie mir das alles, wenn meine Meinung sowieso nicht zählt?« Ich musste mich sehr am Riemen reißen, um nicht laut zu werden. Hannes sollte von der Unterredung ja nichts mitbekommen.
    »Weil ich fürchte, dass Ihr Mann schon bald bewusstlos werden könnte. Schon jetzt dürfte sein Urteilsvermögen aufgrund des Fiebers getrübt sein. Sie müssen ihm gut zureden. Sie müssen ihn von der Notwendigkeit des Eingriffs überzeugen. Und Sie werden auch diejenige sein, die mir bei der Operation assistiert.«
    »Was?!« Ich war fassungslos. Verlangte dieser Wahnsinnige etwa von mir, dass ich danebenstand, während er meinem Mann das Bein absägte?
    »Ist hier sonst noch jemand, der es tun könnte?«
    »Selbstverständlich. Wir haben Nachbarn. Da sind die Gerhards, unsere besten Freunde, die drei Meilen weit die Schneise hinauf leben, und die Schmidtbauers, an deren Hof wir vorhin vorbeigefahren sind. Es gibt in der Umgebung jede Menge kräftige Männer, die diese Aufgabe ganz sicher besser bewältigen als ich.«
    »Das, meine Liebe, bezweifle ich. Frauen haben meist die stärkeren Nerven, wenn es um so, äh, blutrünstige Dinge geht. Im Übrigen haben wir keine, und ich meine: absolut keine Minute, Zeit zu verlieren.«
    »Was redet ihr da so lange?«, vernahmen wir gedämpft Hannes’ Stimme durch die schöne geschnitzte Holztür.
    Ich wollte schon die Tür öffnen und zu ihm eilen, als der Professor mich am Ärmel zurückhielt. »Wo befinden sich Ihre Werkzeuge?«, fragte er flüsternd.
    »Warum?«
    »Sie leisten die Überzeugungsarbeit. Ich stelle das Operationsgerät zusammen.«
    Mit weichen Knien und zitternder Stimme gab ich ihm die gewünschte Auskunft, bevor ich schweren Herzens zu Hannes stapfte.
    Weinerlich empfing er mich: »Was hattet ihr da zu bereden? Will der Quacksalber mir das Bein abnehmen?«
    »
Wollen
tut er das ganz bestimmt nicht.« Ich fuhr Hannes mit der Hand über die Stirn, wie man es bei einem Kind machte, wenn man es tröstete. Sie fühlte sich heißer an als am Vormittag, bevor ich die Hilfe des Professors gesucht hatte. »Aber es sieht so aus, als
müsse
er. Hannes, wenn wir die schlimme Stelle nicht wegschneiden, dann stirbst du.« Ich hatte begonnen zu schluchzen.
    Hilde, die ich die ganze Zeit mit meinem linken Arm auf meinem linken Beckenknochen herumgetragen hatte, auch während des Gesprächs mit dem Professor, spürte offensichtlich, dass etwas Schreckliches im Schwange war. Auch sie begann zu heulen.
    »Und sterbe ich denn nicht, wenn der Kurpfuscher an mir herumschnippelt?«, hauchte Hannes mit letzter Kraft.
    Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Teufel auch! Was, wenn Hannes dem Professor und mir unter den Händen wegsterben würde? Eine Amputation war ein schwerer Eingriff, und wenn sie nicht fachmännisch ausgeführt wurde – was bei dem »Apotheker« und mir als seiner Gehilfin zu befürchten stand –, endete sie nicht selten tödlich. Ich zwang mich dazu, nicht hemmungslos zu flennen.
    »Unsinn! Du bist jung und stark«, antwortete ich. »In ein paar Wochen bist du wieder auf den Beinen.«
    »Auf dem Bein«, flüsterte er und verzog die Lippen zu einer geraden Linie, die ich angesichts der Umstände als Lächeln deutete. Keiner von uns konnte über den makabren Witz lachen, aber ich empfand es als außerordentlich gutes Zeichen, dass Hannes in seiner Lage noch zu derartigen Wortspielen aufgelegt war.
    Ich verwünschte mich jedoch dafür, dass ich ihm die Vorlage geliefert hatte. Ich würde in Zukunft genau aufpassen müssen, was ich sagte. »Na, bist du heute mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden?« – solche und ähnliche Redewendungen durften mir nicht mehr unbedacht herausrutschen.
    Der Professor riss mich aus diesen Überlegungen. »Sind Sie zu einer Entscheidung gelangt? Wünschen Sie, dass ich die Operation ausführe?« Er trug einen Kochtopf, aus dem der Dampf von kochend heißem Wasser

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