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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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die Verständigung klappt trotzdem.«
    »Ich will heim«, stotterte Klara endlich.
    Teresa nickte nachdenklich.
    »Zu meiner Tochter.«
    Teresa schwieg weiter. Wenn Klara sich ihr nun langsam öffnete, würde sie sie keineswegs durch eine unbedachte Zwischenbemerkung durcheinanderbringen.
    »Aber ich will auch nicht heim.« Klara schluckte.
    Wieder nickte Teresa nur bedächtig. Jetzt kamen sie der Sache schon näher.
    »Ich … Senhor Raúl …« Klaras Mund war trocken, ihre Hände waren dafür umso feuchter. Sie rieb sie nervös an ihrem Kleid ab. Dann nahm sie sich, obwohl sie überhaupt keinen Appetit mehr verspürte, einen Keks aus der Schale. Irgendwie musste sie ihre Verlegenheit überspielen.
    »Ah ja«, äußerte Teresa sich nun. »Verstehe. Und was ist daran so falsch?«
    »Ich bin Witwe. Ich habe ein Kind. Ich bin Deutsche. Und ich bin vielleicht eine, äh«, sie suchte einen Augenblick nach dem Wort, »eine Mörderin.«
    »So ein Quatsch!«, ereiferte Teresa sich. »Du und eine Mörderin, da lachen ja die Hühner! Und ich will dir mal was sagen,
menina:
Senhor Raúl glaubt das auch nicht. Sonst wäre er ja nicht so verschossen in dich.«
    »Verschossen?«, fragte Klara nach, die das Wort nicht kannte.
    »Ja, verschossen. Oder verliebt, nenn es, wie du willst. Er ist verrückt nach dir. Hast du das denn noch nicht bemerkt?«
    Doch, zumindest hatte sie es sich eingebildet. Bis zu der erniedrigenden Zurückweisung. »Er will mich nicht«, gestand sie der Schwarzen.
    »Unsinn. Natürlich will er dich. Und ich finde, ihr gebt ein wunderbares Paar ab. Was soll er mit einer Frau wie Josefina anfangen, die vergnügungssüchtig ist und ihm hier auf dem Land das Leben zur Hölle machen würde? Was soll er mit einer wie der Inês, die so dick ist, dass nicht einmal Senhor Raúl sie über die Schwelle tragen könnte, oder mit Dora Lima Oliveira, die nur auf Juwelen aus ist? Nein, glaub mir, Kindchen, du bist genau die Richtige. Du bist bildhübsch, du bist schlau, du kennst die Arbeit auf einem Hof und findest sie nicht abstoßend, und bald wirst du auch unsere Sprache gut genug sprechen, um die Sklaven so zu behandeln, wie sie es verdient haben.«
    Kurz fragte Klara sich, wie diese Behandlung denn auszusehen hätte, aber sie äußerte ihre Frage nicht laut. Sie fand es ohnehin viel zu anmaßend, sich vorzustellen, wie sie als Hausherrin mit dem Personal umgehen würde. Dem
Personal,
ha! Und außerdem wollte Raúl sie ja gar nicht. Er begehrte sie, mochte sie vielleicht sogar, aber als Ehefrau zog er sie bestimmt nicht in Betracht. Wie sie Teresa das klarmachen sollte, ohne die Einzelheiten ihrer beschämenden Begegnung auf dem Berg zu schildern, wusste sie allerdings nicht. Sie hob resigniert die Schultern und tat Teresas Mutmaßungen und ihr gutes Zureden mit einem traurigen Kopfschütteln ab.
    »Na, nur Mut, meine Kleine. Ich bin mir ganz sicher, dass ihr bald zueinanderfindet. Spätestens auf der
festa junina.
«
    »Was ist das?«, fragte Klara.
    »Das, mein Herz, ist ein traditionelles Fest, mit dem wir im Juni den Einzug des Winters begrüßen. Mit einem großen Feuer, mit besonderen Spezialitäten und natürlich mit Tanzmusik. Hier auf der ›Herdade da Araucária‹ gibt es eine der schönsten Feiern der ganzen Umgebung. Dieses Jahr soll sie schon am 2 . Juni stattfinden.«
    Zwei Tage vor ihrer geplanten Abreise nach Porto Alegre, schoss es Klara durch den Kopf. Wahrscheinlich wollte Raúl noch genau dieses Fest abwarten, bevor er wieder in die Stadt zurückkehrte. Sie fand die Aussicht auf ein dörfliches Fest herrlich. Ihr Leben hier auf der
estância
war nur unwesentlich spannender als das in Porto Alegre oder gar in São Leopoldo. Hier wie dort ging es wenig abwechslungsreich zu – und noch weniger gesellig. Es wäre schön, wieder einmal unter Leute zu kommen, vielleicht sogar zu tanzen. Mit Raúl zu tanzen. Ja, das wäre schön. Sie blickte verträumt in die Ferne und vergaß dabei ganz die Gegenwart der alten Sklavin.
    Wie leicht doch diese jungen Dinger zu durchschauen waren, dachte Teresa. Kaum bot sich ihnen die Aussicht auf eine Tanzveranstaltung und damit die Gelegenheit, ihrem Schwarm näherzukommen, vergaßen sie all ihre anderen Sorgen. Wenn doch nur alles so einfach wäre. Sie seufzte und stand auf.
    Zurück an die Arbeit.

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    I n den schweren Tagen und Wochen, die auf die Operation folgten, las ich immer und immer wieder den Brief meiner Schwester Hildegard. Er spendete mir mehr

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