Das Mädchen am Rio Paraíso
lief feuerrot an.
»Mein Gesicht brennt auch«, sagte sie überflüssigerweise.
»Ja, Kindchen, das ist kaum zu übersehen. Also, wir setzen uns jetzt auf die Veranda, und du isst etwas, und dann schüttest du der alten Teresa dein Herz aus, in Ordnung? Ich sehe doch, dass dich etwas bedrückt. Das muss raus, sonst bekommst du ein Magengeschwür. Und außer mir hast du hier ja niemanden zum Reden.«
»Ich will auf mein Zimmer.«
»Keine Bange, mein Herz, Senhor Raúl ist nicht da. Wir können uns an die frische Luft setzen. Der Tag ist doch viel zu schön, um ihn in einem stickigen Raum zu verbringen.«
Halbherzig nickte Klara und folgte der Schwarzen auf die Veranda. Sie hatte nicht vor, sich ihr anzuvertrauen. Erstens glaubte sie nicht, dass die alte Frau verstehen konnte, was ihr so zu schaffen machte, und zweitens wusste sie ja selber nicht so genau, was das eigentliche Problem war. Es war ein ganzer Knoten aus Sorgen und Ängsten, den zu entwirren es mehr bedurfte als eines Gesprächs mit einer mitfühlenden Frau.
»Du wirst dir das kaum vorstellen können, das können junge Leute ja nie, für euch sind wir einfach nur alt und jenseits von Gut und Böse, aber ich war auch mal eine junge hübsche Frau und habe einen Mann geliebt.«
Klara fühlte sich sehr unwohl. Sie hatte genug mit sich selber zu regeln, als dass sie sich auch noch die Beichte einer alten Sklavin anhören wollte. Doch Teresa, die Klaras Unbehagen sehr wohl gespürt hatte, fuhr unbeirrt fort.
»Wir durften nicht heiraten, weil wir Sklaven waren. Wir durften auch keine Kinder haben – das heißt, wir Frauen durften welche gebären, aber sie nicht als unsere Babys betrachten, sondern als unseren Beitrag zum Sklavenbestand unseres Besitzers.«
Wie entsetzlich, dachte Klara. Darüber hatte sie sich noch nie Gedanken gemacht. Ihr einziger Kontakt zu Sklaven war im Haushalt Raúls gewesen, in dem Teresa die Rolle einer Matriarchin zufiel und in dem alle anderen Schwarzen genauso behandelt wurden, wie man auch in Deutschland Mägde und Knechte behandelte. Aber dass man woanders mit den Sklaven wie mit Vieh umging, das sich wie Vieh fortpflanzen sollte, und ihnen kein menschenwürdiges Leben vergönnt war, auf die Idee wäre sie nie gekommen.
»Ja,
menina,
da guckst du. Aber keine Sorge, ich will dich nicht mit den alten Geschichten quälen. Was ich dir nur sagen wollte, ist, dass ich weiß, wie die Liebe sich anfühlt – und wie sich Leid anfühlt. Ist zwar lange her, aber es hat sich tiefer in mein Gedächtnis gebrannt als das Brenneisen meines ersten Besitzers in mein Fleisch.« Dabei schob sie einen Ärmel ihres Kleides nach oben und entblößte einen Oberarm, auf dessen dunkler Haut ganz schwach ein bläuliches Symbol zu erkennen war. Klara musste wegsehen, weil ihr Magen einen Satz machte. Die Vorstellung, wie man einer Frau wie Teresa ein Brandmal setzte, löste einen Anflug von Übelkeit bei ihr aus.
»Ekelhaft, nicht wahr? Nun, da gäbe es noch weit ekelhaftere Dinge zu berichten, aber deshalb sitzen wir ja nicht hier, oder? Also, Herzchen, jetzt du.«
Klara war froh, dass in diesem Augenblick ein Dienstmädchen kam, um ein Tablett mit Kaffee, Limonade, belegten Broten und süßen Knabbereien vor ihnen abzustellen. Das Mädchen machte sich ans Servieren, aber Teresa verjagte sie unwirsch.
»Hier gibt es nichts, was für deine großen abstehenden Ohren bestimmt wäre, Juliana. Ab in die Küche mit dir, ich erledige hier den Rest.« Das Mädchen zog mit gesenktem Kopf von dannen und war bereits durch die Fenstertür geschritten, als Teresa ihr noch nachrief: »Und wenn ich einen von euch beim Lauschen erwische, kriegt er von mir die Hammelbeine langgezogen!«
Klara fühlte sich nach Teresas privaten Geständnissen verpflichtet, nun ihrerseits ebenfalls etwas von dem preiszugeben, was sie beschäftigte. Was, dachte sie, wahrscheinlich genau der Grund gewesen war, warum Teresa ihr das alles erzählt hatte. Und warum auch nicht? Wenn schon kein Beichtvater zur Verfügung stand, würde ihr vielleicht leichter ums Herz, wenn sie sich Teresa anvertraute. Doch schon in ihrer Muttersprache wäre es ihr schwergefallen, die richtigen Worte zu finden. Mit ihrem schlichten Kinder-Portugiesisch würde sie ihre komplizierte Seelenlage niemals beschreiben können.
»Benutz ruhig einfache Wörter und kurze Sätze«, sagte Teresa, als hätte sie Klaras Gedanken gelesen, »die meisten Sklaven können auch kaum besser Portugiesisch als du, aber
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