Das Mädchen am Rio Paraíso
Woche begann mit herrlichstem Sonnenschein. Wobei, überlegte Klara, hierzulande ja der Sonntag als Wochenbeginn galt, während der Montag als »segunda feira« bezeichnet wurde, was so viel wie »zweiter Markttag« bedeutete. Im Allgemeinen sagte man aber nur »segunda«. Die folgenden Wochentage wurden ebenfalls durchgezählt,
terça, quarta,
quinta
und
sexta.
Obwohl Klaras Portugiesisch inzwischen recht flüssig war, wenn auch auf einfachem Niveau, bekam sie die Tage noch immer durcheinander.
Sábado
und
domingo
waren leicht zu merken, aber die Numerierung der Werktage fiel ihr schwer. »Dritter« für Dienstag zu sagen, den sie, wenn überhaupt, als »Zweiten« betrachtet hätte, kam ihr sonderbar vor.
Wie auch immer: Es war ein sonniger, milder Montag, der die bevorstehende Fahrt wie einen erholsamen Ausflug erscheinen ließ und nicht wie eine beschwerliche, lange Reise. Raúl war voller Energie und belud schwungvoll den Wagen. Der Sklave, der das eigentlich hätte tun sollen, stand ratlos daneben und schaute beleidigt drein. Raúl hatte nicht länger mit ansehen können, wie ungeschickt der Bursche sich anstellte, und hatte ihn ungehalten verscheucht. »Zum Teufel, Zé, was soll das? Runter da, ich mach es selber. Ich habe jetzt keine Zeit, dir zu erklären, wie du was zu verstauen hast. Aber schau gut hin – beim nächsten Mal will ich, dass du es richtig machst.«
Zé schaute natürlich nicht hin, weil er vollauf mit der Kränkung beschäftigt war. Teresa, die von der Veranda aus das Treiben auf dem Innenhof beobachtete, entging nichts von alldem, und am liebsten hätte sie dem Jungen mit ihrem Gipsfuß in den Hintern getreten. Sie beherrschte sich jedoch, denn neben ihr saß die junge Sklavin Joaninha, der sie noch alles Mögliche erklären musste. Joaninha würde Raúl und Klara auf der Fahrt begleiten, denn dass die beiden allein reisten, war schlichtweg ausgeschlossen. Sie, Teresa, hatte es verboten. Wenn es den beiden schon gleich war, was die Leute dachten – ihr war es ganz gewiss nicht egal.
»Es ist ganz einfach«, fuhr sie nun in ihrer Unterweisung fort, »du sagst so wenig wie möglich, und auch nur, wenn du etwas gefragt wirst. Ansonsten hältst du den Mund. Verstanden?«
Joaninha nickte eifrig. Der Stolz darauf, dass man sie mit dieser wichtigen Aufgabe betraute, war ihr deutlich anzusehen. Die Aufregung allerdings auch. Sie saß in nagelneuer Garderobe stocksteif auf dem Stuhl, umklammerte das Täschchen, das auf ihren Knien stand, und versuchte vergeblich, das Jucken auf ihrem Kopf zu verdrängen, das von dem neuen Häubchen ausgelöst wurde. Unter gar keinen Umständen wollte sie sich hier vor aller Augen kratzen.
»Wenn die beiden sich benehmen, als wären sie allein auf der Welt, mit Händchenhalten oder so, dann räusperst du dich. Verstanden?«
Erneut nickte das Mädchen. Sie räusperte sich, wie zum Beweis, dass sie diese schwierige Aufgabe bravourös meistern würde.
»Genau. Ansonsten kümmerst du dich um Dona Klara. Das hast du hier ja auch schon gemacht, und unterwegs ist es nichts anderes. Du hilfst ihr aus dem Mieder, kämmst ihr Haar, lässt ihr das Badewasser ein und Ähnliches. Verstanden?«
»
Sim, senhora, tia Teresa.«
Teresa nickte befriedigt. Die jungen Sklaven sagten häufig »Tante Teresa« zu ihr, es war ein Zeichen großer Ehrerbietung. Die junge Joaninha wäre der Verantwortung, die sie, Teresa, ihr übertrug, gewachsen. Sofern außer ihr selber überhaupt ein anderer Mensch auf Gottes Erden ihr gewachsen war. Sie seufzte und schloss dann ihre Ansprache: »Na los, worauf wartest du noch?«
Joaninha stolzierte zu dem inzwischen vollbeladenen Wagen, ließ sich von Zé hinaufhelfen und schaute dann huldvoll um sich. Erst ein Blick in Teresas angriffslustig funkelnde Augen sagte ihr, dass es besser wäre, auf ein königliches Winken zu verzichten.
Raúl richtete sich auf dem Kutschbock ein, während Klara noch mit der Verabschiedung beschäftigt war. Nicht, dass sie nicht zuvor schon allen Mitgliedern des Haushalts Lebwohl gesagt hätte. Aber bei Teresa konnte auch eine zehnte Umarmung nicht schaden.
»Das hatten wir ja alles schon einmal,
menina
«, sagte Teresa, deren tränenfeuchte Augen ihren bemüht gelassenen Ton Lügen straften. »Ich bin mir sicher, auch jetzt werden wir uns nicht zum letzten Mal gesehen haben.«
Klara brachte kein Wort mehr heraus. Sie nickte nur, dann drehte sie sich um und lief zu dem Wagen. Erst als sie außer Sichtweite des
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