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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schließlich sein Bestes gab.
    Raúl ritt wie ein Besessener. Er machte sich schreckliche Vorwürfe, weil er Klara auf seinem eigenwilligen Hengst hatte reiten lassen, dessen Charakter zwar gut, aber eben auch exzentrisch war. Er hätte das voraussehen müssen. Er hätte sich nicht durch sein Mitleid mit ihrem geschundenen Gesäß dazu hinreißen lassen dürfen, sie auf das Pferd zu setzen. Er hätte … ach, verflucht, er hätte alles anders machen müssen. Alles.
    Etwa drei Meilen vor der Stelle, an der er den Wagen und die wahrscheinlich völlig aufgelöste Joaninha zurückgelassen hatte, sah er endlich Klara. Sie ritt, als hätte sie ihr Lebtag nichts anderes getan. Ihr Haar hatte sich gelöst, es wirbelte heiter im Wind, und fast meinte er, einen Freudenjuchzer gehört zu haben. Es war ein schönes Bild, und am liebsten hätte er innegehalten, um sich noch ein wenig daran zu erfreuen. Doch er ritt weiter und rief ihren Namen, bis sie endlich bemerkte, dass er ihr nachgesetzt war.
    »Es ist herrlich!
Maravilhoso!
« Klara ritt nun auf ihn zu, war offensichtlich ganz in ihrem Element und so fröhlich, wie er sie noch nie erlebt hatte. »Dieses Pferd ist göttlich, ein Engel!«, rief sie ausgelassen.
    Merkwürdig, dachte Raúl, er hatte dem Tier eher teuflische Qualitäten zugeordnet.
    Es hatte schließlich einen Grund, warum sein Hengst den Namen »Diabo«, Teufel, trug.

[home]
43
    A n dem Brief für meine Schwester schrieb ich nur noch selten weiter. Hier ein Sätzchen, da einen kleinen Abschnitt. Es war nicht die körperliche Erschöpfung allein, die mich davon abhielt, sondern vor allem die geistige. Die äußerte sich in absoluter Einfallslosigkeit. Die Wahrheit mochte ich Hildegard nicht schildern, und Märchen kamen mir keine in den Sinn. Es war lachhaft, dass Hannes und unsere Freunde in der Colônia mir eine zu rege Phantasie andichteten. Das Gegenteil war der Fall. Meine Gedanken kreisten ausschließlich um das, was bei uns geschah, um meine Verletzungen, um Hildchen sowie um unsere Ernährung. Für etwas anderes war gar kein Platz mehr – nicht einmal mehr für Träume. Die hatte Hannes mir aus dem Leib geprügelt.
    Denn natürlich blieb es nicht bei dem einen Mal. Er schlug immer öfter zu und immer brutaler. Ausgelöst wurden diese Attacken vom Alkohol sowie von Nichtigkeiten, die ihn rasend machten. Einmal war es ein versalzenes Essen, ein anderes Mal war es ein Fleck auf seinem Hemd, den ich nicht ordentlich ausgewaschen hatte. Es konnte meine Unlust sein, mit ihm zu schlafen, aber es hätte genauso gut meine Lust sein können – wenn ich solche denn noch verspürt hätte. Doch das tat ich nicht. Mein Ehemann widerte mich zunehmend an.
    Ich versuchte es ein paarmal mit Gegenwehr, doch trotz der körperlichen Beeinträchtigung durch das fehlende Bein war er stärker als ich. Und da meine missglückten Versuche, mich zur Wehr zu setzen, seine Wut ins Unermessliche steigerten und ich letztlich nur noch schlimmer misshandelt wurde, gab ich es schließlich ganz auf. Ich ließ die Ausbrüche über mich ergehen, als wären sie gottgegeben, so wie man einen Hagelschauer fürchtet, ihn aber trotzdem hinnehmen muss.
    Denn einen Ausweg aus meiner furchtbaren Lage sah ich keinen. Nicht selten wünschte ich Hannes den Tod an den Hals, aber ohne meinen Mann wäre ich erst recht verloren gewesen. Als Frau, allein mit einem kleinen Kind, konnte man es hier nicht schaffen. Die Bewirtschaftung des Landes erforderte einfach zu viel Kraft und Zeit. Solange Hannes am Leben war, konnte ich mich immerhin der trügerischen Hoffnung hingeben, eines Tages käme alles wieder in Ordnung. Wenn er erst diese Krise überwunden, wenn er sich mit seinem Dasein als Einbeiniger abgefunden hatte, dann würde sich schon alles wieder einrenken. Redete ich mir ein.
    Selbstverständlich hatte ich ebenfalls mit einer Flucht geliebäugelt, regelmäßig sogar. Doch auch das schien mir keine gute Lösung zu sein. Wo hätte ich denn hingehen sollen? In der Colônia konnte ich allein nicht überleben. Und außerhalb der Kolonie hätte ich schon gar keine Chance, ohne das Land, seine Sitten und die Sprache zu kennen. Da hätte ich mich nur noch mit Betteln durchschlagen können. Oder mit dem Verkauf meines Körpers. Beides war undenkbar, insbesondere wegen Hildchen. Mir selber wäre es mittlerweile egal gewesen, meine Selbstachtung war sowieso dahin.
    Hilfe von unseren Freunden und Nachbarn war ebenso wenig zu erwarten. Sie glaubten mir

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