Das Mädchen am Rio Paraíso
taten mir meine Arme weh, mein Kopf pochte, und ich fühlte, dass sich unter meiner Nase angetrocknetes Blut befand. Unfreiwillig stieß ich ein leichtes Stöhnen aus, als ich mich aufrichtete.
»Oh Gott«, flüsterte Hannes, »wie kann ich das je wiedergutmachen?«
Ich ging zum Spiegel, doch ein kurzer Blick hinein reichte aus, um meine Stimmung weiter zu verdüstern. Ich gab etwas Wasser in die Waschschüssel und reinigte mein Gesicht notdürftig. Dann erst sah ich Hannes an. Ich straffte die Schultern.
»Gutmachen kannst du das nicht. Was passiert ist, ist passiert. Was du jedoch tun kannst, ist deine Arbeit. Hier. Auf unserem Land, in unserem Haus. Es gibt jede Menge Sachen, die man auch mit nur einem Bein schaffen kann.«
Er nickte. Seine Miene war ernst. Offenbar hatte ich nur das ausgesprochen, was er selber sich ebenfalls schon überlegt hatte.
»Du hast recht.«
»Na, dann könntest du doch zum Beispiel schon einmal ein paar Eier von draußen holen. Lass mich den Kaffee kochen und den Tisch decken. Das ist meine Aufgabe.«
Er machte sich sogleich auf, erleichtert, wie mir schien, dass er mit einer so milden Strafe davongekommen war. Ich musste schmunzeln. Ich würde ihn noch ein wenig zappeln lassen, ihn ein bisschen herumscheuchen, ihn streng ansehen. Aber eigentlich hatte ich ihm schon vergeben.
Zu früh, wie sich herausstellen sollte.
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42
N ach der
festa junina
befand sich Klara im Besitz der Visitenkarte des Senhor Eduardo Felipe Vieira Lima sowie der zweier weiterer Herren, die ihr ähnlich geckenhaft und hohl erschienen waren. Aber vielleicht tat sie ihnen auch unrecht, und es lag nur an ihren eigenen mangelhaften Sprachkenntnissen, dass die jungen Galane sie so angeödet hatten. Oder es lag ganz einfach daran, dass jeder Mann, der nicht Raúl Almeida war, sie langweilte. Klara zerriss die Karten und warf sie in die noch schwelende Glut des Feuers vom Vorabend. Sie würde diese Männer nie wiedersehen – und schon gar nicht in die Verlegenheit kommen, sich ihrem Charme aussetzen zu müssen.
Sie war am Morgen früh aufgewacht und schlenderte nun über den Innenhof, in dem die Aufräumarbeiten in vollem Gange waren. Die Sklaven bauten die Zelte, den Tanzboden sowie Bänke und Tische ab, fegten Scherben und Zigarrenstummel auf und trugen die schweren gusseisernen Töpfe zum Spülen hinters Haus. Dort würden sie zuvor jeden noch essbaren Krümel daraus sicherstellen, nicht etwa, weil sie Hunger litten, sondern weil die
canjica
sowie die
feijoada
und diversen anderen Eintöpfe so köstlich gewesen waren. Die kulinarische Hauptattraktion waren allerdings die Fleischgerichte gewesen. Klara hatte noch nie in ihrem Leben solche Berge an feinstem Rindfleisch gesehen, geschweige denn gegessen. In Ahlweiler hatte es hier und da mal ein Huhn gegeben, zu besonderen Anlässen wurde ein Schwein geschlachtet, von dessen Speckschwarten man ein halbes Jahr zehren konnte, und zu Weihnachten gab es eine Gans. Rindfleisch hatte als Reiche-Leute-Essen gegolten. Kühe lieferten Milch, Ochsen zogen Pflüge und Karren – zum Schlachten waren beide zu wertvoll.
Hier dagegen war Rindfleisch Hauptbestandteil des Speiseplans. Der Oberbegriff für den Grill wie auch das gegrillte Fleisch lautete, das hatte Klara gestern gelernt,
churrasco.
Es schien sich um eine lokale Spezialität zu handeln, eine ausgesprochen
leckere
Spezialität, denn Klara hatte herzhafter zugelangt, als es der Anstand erlaubte. Solche Mengen verdrückten nur Feldneger, hatte einer ihrer Verehrer ihr grinsend erklärt und ihr dabei versichert, dass er ihren Appetit durchaus reizvoll fand.
In Wahrheit war sie ja auch ein Feldneger, nur eben mit weißer Hautfarbe, gestand Klara sich ein. Wenn all diese feinen Herrschaften auf dem Fest auch nur geahnt hätten, wie sehr sie, Klara, sich abgeplagt hatte, sie hätten nicht ein freundliches Wort für sie übriggehabt. Nicht einer der Gäste wusste, wie hart sie und die anderen Kolonisten geschuftet hatten und noch schufteten, und nicht einer würde es überhaupt für möglich gehalten haben. Ein Weißer, der Feldarbeit verrichtete? Der in Ermangelung eines Ochsen sich vielleicht selber vor den Pflug spannen musste? Unausdenkbar. Geradezu obszön.
Der Abend hatte Klara erneut und deutlicher denn je ins Bewusstsein gerückt, wie wenig sie hierherpasste. Das war nicht ihre Welt, und es wurde höchste Zeit, dass sie sich auf den Weg in
ihre
Welt machte. Morgen war es so weit. Sie fürchtete den
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