Das Mädchen am Rio Paraíso
Abschied von der
estância
ebenso sehr, wie sie ihn herbeisehnte. Sie wollte Raúl nicht aus den Augen verlieren, aber noch mehr verlangte es sie danach, ihr Kind endlich wieder in den Armen zu halten. Ihr süßes, weiches, zartes Hildchen – ach, wie sehr sie sie vermisste!
Klara ging ins Haus und machte sich ans Packen. Diesmal würde sie nichts zurücklassen, was nicht ursprünglich ihr gehört hatte. Sie würde auch keine weiteren Geschenke zurückweisen oder sie nur verschämt akzeptieren. Sie musste nach vorn schauen. Und was da auf sie wartete, erlaubte keinerlei vornehme Zurückhaltung. Wenn sie sich erst wieder auf ihrem Hof befand, wäre sie dankbar für jedes Kleid, jeden Schinken und jeden Sack Mehl, die man ihr hier aufdrängen würde. Und so gut kannte sie ja inzwischen Raúl und Teresa: Beide würden sie mit Bergen von guten Dingen ausstatten wollen.
Erst am Nachmittag begegnete sie Raúl. Er hatte eine kratzige Stimme, Ringe unter den Augen, strubbeliges Haar und wirkte wie jemand, der die ganze Nacht durchgefeiert hatte. Was wohl auch der Fall war, dachte Klara mit einem Anflug von Eifersucht. Sie selber hatte sich zeitig zurückgezogen. Was später noch zwischen Raúl und der Senhorita Dora passiert war, entzog sich ihrer Kenntnis. Hatten sie miteinander getanzt? Waren sie noch ein wenig in der würzigen Nachtluft spazieren gegangen? Hatte er dabei ihre Hand gehalten? Hatten sie sich geküsst? Oh Gott, was fiel ihr nur ein, sich derartige Gedanken zu machen? Es stand ihr nicht zu, sich über Raúls Privatleben den Kopf zu zerbrechen, und noch viel weniger durfte sie dabei so besitzergreifende Maßstäbe anlegen. Er gehörte ihr nicht und würde es nie tun.
»Na, schon gepackt?«, krächzte Raúl. Seine rauchige Stimme jagte Klara einen prickelnden Schauer über den Rücken. Auch sein zerzaustes Aussehen fand sie sehr attraktiv.
»Ja, das meiste ist schon im Koffer.«
»Freust du dich?« Er presste stöhnend beide Hände um seinen Schädel – offensichtlich hatte er ein paar Schnäpse zu viel genossen.
»Ja.« Ihm ihre widersprüchlichen Gefühle angesichts der bevorstehenden Abreise mitzuteilen, fühlte sie sich nicht in der Lage.
Raúl sah sie überrascht an. Er setzte zu einer Erwiderung an, überlegte es sich dann jedoch anders. Wenn sie sich freute, von hier fortzukommen, dann war es nicht an ihm, das in Frage zu stellen.
Er
freute sich nicht, dass er die »Herdade da Araucária« schon wieder verlassen musste und dass der endgültige Abschied von Klara immer näher rückte.
»Hast du dich gut amüsiert gestern Abend?«, fragte er stattdessen.
»Ja. Und du?«
»Ich mich auch, danke. Ich habe nach dir gesucht, aber du bist anscheinend schon früh zu Bett gegangen.«
»Früh nicht. Gegen Mitternacht.«
»Sage ich doch.« Er verzog die Lippen zu einem Lächeln, das schelmisch wirken sollte, doch es geriet ihm ein wenig traurig. »Ich war bis ungefähr fünf Uhr morgens wach – erst als die Sonne aufging, haben sich die letzten Gäste auf den Heimweg gemacht.«
»Dora auch?« Kaum hatte sie es ausgesprochen, hätte Klara sich am liebsten die Zunge abgebissen. Herrje, sie musste ihm ihre peinliche Eifersucht doch nicht noch zeigen!
»Nein, Dora ist ebenfalls früh gegangen. Etwa um drei«, lachte er und gab der Richtung, die das Gespräch zu nehmen drohte, dadurch eine andere Wendung, eine beiläufigere. Klara war ihm sehr dankbar dafür. »Zusammen mit dem grässlichen Eduardo Felipe.«
»Ich dachte, er ist vielleicht ein Geschäftspartner von dir«, erklärte Klara.
»Hast du dich deshalb so lange mit dem Langweiler unterhalten?«
»Ja. Ich mag ihn nicht.«
»Danke. Das war sehr aufopferungsvoll von dir. Vielleicht hätte ich vorher die Gästeliste mit dir durchgehen und dir sagen sollen, wer wichtig war und wer nicht. Also auf rein geschäftlicher Basis. Du hättest dir viel ermüdendes Geschwätz ersparen können. Na ja, beim nächsten Mal.« Diesmal war Raúl es, der über die letzte Bemerkung erschrak und sich wünschte, er könne sie zurücknehmen. Es würde kein nächstes Mal geben.
Klara schluckte. Sie dachte genau dasselbe.
»So, meine Liebe. Ich muss mich jetzt so weit wiederherstellen, dass ich alle Erledigungen und Pflichten, die für heute anstehen, noch schaffe. Ich denke, wir sehen uns heute nicht mehr. Morgen früh um sieben dann, ja?«
Klara nickte. Sie hatte verstanden. Er wollte ungestört sein. Mit hängenden Schultern zog sie von dannen.
Die
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