Das Mädchen am Rio Paraíso
nicht, und selbst wenn sie es getan hätten, wäre ich wahrscheinlich schnurstracks zu Hannes zurückgeschickt worden. So war eben die landläufige Meinung: dass eine Frau von ihrem Mann durchaus die eine oder andere Züchtigung hinzunehmen habe. Dass es sich um ernstzunehmende Verletzungen handelte, die Hannes mir zufügte, mochte niemand glauben. Denn so schlau war mein lieber Gatte: Er schlug mich nach diesem ersten Mal nie wieder ins Gesicht oder auf irgendeine Stelle, die für andere sichtbar gewesen wäre. Er rammte mir eine Faust in den Bauch, versohlte mir den Hintern, schlug mich mit dem Gürtel auf den Rücken, prügelte mich windelweich und grün und blau – aber nie hatte ich auch nur ein Veilchen oder einen Kratzer auf dem Arm.
Eines Tages fasste ich mir ein Herz und marschierte zu den Gerhards. Ich ahnte zwar, dass daraus nur wieder weiteres Ungemach entstehen würde, doch ich
musste
ganz einfach jemandem mein Leid klagen, brauchte Verständnis und Mitgefühl und wollte mir Rat holen. Denn dass meinem eigenen Verstand nicht recht zu trauen war, das mutmaßte ich inzwischen selber. Hannes hatte ihn mir ja ausgedroschen.
Ich war wochenlang nicht von unserer Parzelle fortgekommen und seit Monaten nicht mehr bei Christel und Franz gewesen. Als ich ihr Grundstück betrat, traf es mich wie der Schlag einer Keule: Es war alles so gepflegt, ihr Häuschen hübsch, das Vieh gesund und fett – genauso hätte es auch bei uns aussehen können, wenn mein Mann mich nicht so schmählich mit all der Arbeit alleinlassen würde. Hinter dem Gerhard-Hof erstreckten sich ihre Mais-, Bohnen- und Tabakpflanzungen, die in vollem Saft standen. Die Felder verschwammen in meinen tränenfeuchten Augen zu einem prachtvollen grünen Teppich. Vor dem Haus flatterte strahlend weiße Wäsche auf der Leine im Wind, und auch die empfand ich als einen einzigen Vorwurf. Unsere Wäsche wäre so sauber nie wieder hinzubekommen.
»Klärchen!«, rief Christel, die gerade dabei war, in dem kleinen Gemüsebeet vor dem Haus Unkraut zu jäten. »Lieber Gott, was ist passiert? Du siehst zum Fürchten aus.«
»Ach, Christel«, brachte ich hervor, bevor ich losheulte und mich ihr in die Arme warf.
»Scht«, beruhigte sie mich und klopfte mir auf den Rücken. Sie traf eine Stelle, an der meine Haut aufgeplatzt war, so dass ich unter der besänftigend gemeinten Berührung zusammenzuckte. Sofort ließ sie von mir ab. »Ist jemand gestorben? Ist etwas mit Hildchen?«, fragte sie leise.
Ich schüttelte verneinend den Kopf.
»Na, gegen alles andere lässt sich doch bestimmt etwas tun. Komm mit rein, da kriegst du einen Schnaps, und dann erzählst du mir in Ruhe, was los ist.«
Ich folgte ihr ins Haus. Beim Anblick der schmucken Stube, der blank geschrubbten Böden und der liebevoll bestickten Spruchbänder über dem Herd und im Flur überkam mich ein neuerlicher Weinkrampf. Alles an diesem Haushalt zeugte von Ordnung, Rechtschaffenheit und Tüchtigkeit. Christel und Franz hatten es geschafft. Wir nicht.
Christel goss mir eine großzügig bemessene Dosis ihres selbstgebrannten Zuckerrohrschnapses ein, sich selber gab sie nur einen Fingerhut voll.
»So, dann schieß mal los.«
Wir kippten beide unseren Schnaps in einem Schluck hinunter und schüttelten uns anschließend, weil wir das starke Gebräu nicht gewohnt waren und es unsere Kehlen zum Brennen brachte. Ich wusste nicht, womit ich beginnen sollte. Christel und Franz waren schließlich auch mit Hannes befreundet, vielleicht sogar mehr als mit mir, denn er besuchte sie recht häufig. Da konnte ich doch nicht einfach daherkommen und schlecht über ihn reden. Andererseits war es ja genau der Grund, aus dem ich diesen Besuch machte.
»Mit Hannes und mir … also bei uns ist nicht alles so, wie es sein sollte«, begann ich.
Christel nickte. »Ja, das hat dein Mann uns auch schon erzählt.«
»Aha? Was genau hat er denn erzählt?« Mir schwante Übles. Nachdem Hannes mich schon vor den Schmidtbauers verleumdet hatte, damals, als der Einbrecher bei uns war, würde er sicher nicht davor zurückschrecken, auch den Gerhards Lügengeschichten zu erzählen.
»Na ja, also, nichts Genaues«, wand Christel sich. »Nur, dass du … also, dass du in letzter Zeit komisch bist.«
»Ah.«
»Ja, und dass du dir Sachen einbildest.«
»Zum Beispiel, dass er mich verdrischt?«
Christel glotzte mich ungläubig an. »Nein, das würde er doch nicht tun.«
»Nicht?«
»Vielleicht war es ein
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