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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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betreten, dass ich spontan beschloss, weiterzulaufen, bis nach São Leopoldo. Das war mittlerweile zu einem richtigen kleinen Dorf geworden, dank des Fähranlegers und des dort ansässigen Pfarrers. Es war ein weiter Weg, aber ich scheute ihn nicht. Hildchen war mit Hannes unterwegs, und mich erwartete daheim ohnehin nichts anderes als Elend und Trübsal. Ja, ich würde nach São Leopoldo wandern und mich dem Pfarrer anvertrauen. Der hätte gewiss ein offenes Ohr für mich. Und dass auch er sich von Hannes auf dessen Seite hatte ziehen lassen, konnte ich mir nicht vorstellen.
    Ein Karren näherte sich rumpelnd von hinten. Ich drehte mich um, erkannte zunächst jedoch nur eine riesige Staubwolke, die er aufwirbelte. Erst als der Wagen fast auf meiner Höhe war, erkannte ich den Kurt Hofer.
    »Klärchen?«, wunderte er sich laut über meine Anwesenheit auf der Lehmpiste. »Was treibst du denn hier? Ist etwas Schlimmes passiert?«
    Ich spürte schon wieder einen Schluchzer in meiner Kehle aufsteigen, doch ich unterdrückte ihn. »Nein, nichts Schlimmes. Nimmst du mich mit nach São Leopoldo?«
    »Natürlich, was für eine blöde Frage! Komm her«, damit reichte er mir die Hand und zog mich hoch auf den Karren, »ich freue mich, dass ich etwas Gesellschaft habe.«
    Diese Freude dürfte ihm im Laufe der etwa halbstündigen Fahrt vergangen sein, denn ich sprach kein Wort. Ich wusste, dass er das als sehr unhöflich empfinden würde, aber ich fürchtete, dass meine Stimme zittern, meine Unterlippe beben und ich in Tränen ausbrechen würde. Ich wollte nicht, dass er so genau über meine Gemütsverfassung Bescheid wusste. Da blieb ich lieber still und stieß ihn damit vor den Kopf.
    In São Leopoldo angekommen, dankte ich ihm – nicht halb so überschwenglich, wie ich es unter anderen Umständen getan hätte – und lief schnell von dem Karren fort, um die nächste Ecke. Ich wollte nicht, dass er sah, wohin ich ging.
    Der Pfarrer Zeller war da und wirkte überaus erfreut, mich zu sehen. »Liebe Frau Wagner, wie schön, dass Sie es auch mal wieder ins Dorf schaffen. Der Anlass ist ein froher, wie ich hoffe? Gibt es vielleicht bald eine weitere Taufe?« Dabei zwinkerte er mir zu, und bei diesem Zwinkern vergaß ich mich nun vollends. Ich heulte erbärmlich drauflos, wurde geschüttelt von Schluchzern und wischte mir den Rotz mit dem Ärmel ab. Ich hasste den Mann schon jetzt dafür, dass er mit solcher Blindheit geschlagen war. Sah ich etwa schwanger aus? Ich war klapperdürr, wirkte verwahrlost, hatte dunkle Augenringe.
    »Kann ich beichten?«, gelang es mir unter rasselndem Atemholen zu fragen. Nicht, dass ich selber irgendwelche Sünden begangen hätte, aber im Beichtstuhl würde es mir leichter fallen zu reden. Außerdem würde der Pfarrer dann nichts von dem Gehörten weitererzählen dürfen.
    »Selbstverständlich«, sagte er, »kommen Sie herein.«
    Er führte mich in das kleine Kirchlein, das unsere gottesfürchtigen Männer in Windeseile errichtet hatten. Das Prunkstück darin war noch immer das von Friedhelm angefertigte Taufbecken, ansonsten gab es einen bescheidenen Altar, ein paar Holzbänke sowie einen schlichten Beichtstuhl. Ich kniete mich in mein Abteil und murmelte rasch die erforderlichen Formeln. Dann sprudelte es förmlich aus mir heraus: wie schlecht es uns ging, wie übel uns das Schicksal mitgespielt hatte, wie Hannes sich nach dem Verlust des Beines verändert hatte und wie sich das bemerkbar machte; wie er mich misshandelte, mich verleumdete, mich unglücklich machte; wie ich um mein Leben fürchtete und um das Seelenheil meiner Tochter.
    Als ich fertig war, entstand eine kurze Pause. Ich hörte den schnaubenden Atem des Pfarrers. Schließlich begann er zu sprechen.
    »Um Hildchens Seelenheil brauchen Sie sich schon einmal keine Sorgen zu machen. Ich sehe sie oft, hier im Dorf, wenn Ihr Mann sie herumträgt. Ich habe dabei den Eindruck gewonnen, dass es dem Kind sehr gutgeht. Hannes Wagner ist, für einen Protestanten jedenfalls, ein guter Christ. Er ist ein wunderbarer Vater, und es fällt mir schwer zu glauben, dass er nicht auch ein wunderbarer Ehemann sein soll.«
    Ich schwieg. Ich spürte, wie mir die Galle hochkam, aber ich wagte es nicht, den Herrn Pfarrer zu unterbrechen. Dass er mich siezte, deutete ich als ein weiteres schlechtes Zei-chen. Als würde er unser Gespräch als normale Unterhaltung betrachten und nicht als offizielle Beichte – im Beichtstuhl wurde man üblicherweise vom

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