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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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einen sauberen Fußboden in der Stube ganz gut verzichten konnten. Aber schon als ich ankam, verflog mein Anfall von Fleiß. Ich sah mir stirnrunzelnd den wachsenden Urwald an, der das einstige Maniokfeld unter sich begrub. Es war hoffnungslos.
    Wut und Verzweiflung überkamen mich mit einer solchen Wucht, dass ich mir nicht anders zu helfen wusste, als wild mit der Sense um mich zu schlagen. Jemand anders hätte vielleicht gebrüllt oder geheult, hätte, wenn er vornehmer gewesen wäre, mit kostbarem Porzellan um sich geworfen, hätte seinen Hund gequält oder seine Frau verprügelt. Erstmals konnte ich nachvollziehen, wie Hannes sich während seiner Ausbrüche fühlen musste, wenn sich der angestaute Zorn über die Muskeln seinen Weg nach draußen suchte und sich nicht mehr aufhalten ließ. Das hatte er mir mal, sozusagen als Entschuldigung, erzählt: dass es ihn überkommen hatte und dass es stärker war als er.
    So ging es mir jetzt. Ich mähte wie eine Wahnsinnige. Und es war stärker als ich, denn mein Verstand sagte mir, dass es besser für mich wäre, damit aufzuhören. Andere Frauen hüteten immerhin eine Woche lang das Bett, wenn sie eine Fehlgeburt gehabt hatten. Aber mein freier Wille war mir abhandengekommen. Ich bestand auf einmal nur noch aus Wut, Trauer und Verbitterung. Mit jeder Faser meines Körpers verlangte es mich danach, mir diese Gefühle auszutreiben – und das, so schien mir, war nur durch völlige Verausgabung zu erreichen.
    Natürlich ging ich nicht nach irgendeiner Ordnung vor. Ich schlug wie wild um mich, taumelte mal in die eine, mal in die andere Richtung, drehte mich senseschwingend im Kreis und hatte schließlich eine unregelmäßige Fläche niedergemäht, die sicher so groß war wie die Lichtung am nördlichen Ende des Soonwaldes, wo ich einst mit Hannes Zärtlichkeiten ausgetauscht hatte. Dieselbe übrigens, auf der ich Jahre zuvor, als vielleicht Elfjährige, das kleine Kind der Hoffmanns, das ich beaufsichtigen sollte, gepiesackt hatte.
    Abrupt hielt ich inne. Warum fiel mir dieses Vorkommnis ausgerechnet jetzt wieder ein? Ich hatte seitdem nie wieder daran gedacht, doch nun hatte ich es in sehr lebendigen Farben vor Augen. Das Gör war mir in seinem Drang, die Umgebung zu erkunden, lästig geworden. Ich hatte es, immer wenn es aufstand und sich mit Mühe auf seinen zwei Beinchen hielt, umgeschubst. Erst dachte das Kind, es wäre ein Spiel, es juchzte und freute sich. Dann stieß ich es unsanfter zu Boden, immer und immer wieder, bis es endlich begriff, dass ich seine ersten Gehversuche nicht lustig fand, sondern ärgerlich.
    Oh Gott, hatte ich das wirklich getan? Oder spielte mir meine Erinnerung einen Streich? Aber nein – auf die Genauigkeit meiner Erinnerungen hatte ich mich immer verlassen können. Wenn ich aber ein unschuldiges Kind gequält hatte, und das in einer Lage, die im Vergleich zu meiner jetzigen geradezu rosig war, wozu wäre ich dann heute imstande? Würde ich am Ende noch Hand an Hildchen legen? Gar nicht auszudenken!
    Ich ließ die Sense in das abgemähte Gestrüpp fallen und setzte mich daneben.
    Es war allerhöchste Zeit, etwas zu unternehmen.

[home]
49
    K lara, Raúl und Joaninha fuhren schweigend auf der Hauptstraße, die schnurgerade die Mitte der Baumschneis beschrieb. Als Klara zuletzt hier gewesen war, war der Weg bei Regenfällen so gut wie unpassierbar gewesen. Während ihrer Abwesenheit war die Straße mit Steinen und Kies befestigt worden. Allmählich nahm die Colônia Gestalt an. Eine ordentliche Straße, ein Dorf mit Kirche und, wie Klara gestern am Rande mitbekommen hatte, einer kleinen Schule. Die Bauernhöfe der allerersten Siedler zeigten alle Anzeichen des bescheidenen Wohlstands, den sie sich in gerade einmal drei Jahren erwirtschaftet hatten. Die Hütten waren kleinen, aber gut befestigten Fachwerkhäusern gewichen, die Felder dehnten sich immer weiter aus und hatten den Urwald bereits ein gutes Stück verdrängt.
    Jetzt, Mitte Juni und am frühen Morgen, war es empfindlich kühl. Klara schätzte jedoch, dass es bei dem sonnigen Wetter im Laufe des Tages noch sommerlich warm werden würde. Wären nicht weiterhin Tukane über sie hinweggeflogen, hätte man nicht die Affen durch das Geäst jagen hören und wären nicht allenthalben die immensen, vor Morgentau schillernden Netze von Riesenspinnen zu sehen gewesen – man hätte fast glauben können, sie befänden sich im Hunsrück.
    Auch Raúl staunte. Er hatte die Colônia genau einmal

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