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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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unter der Erde, und wir, wir leben. Ihr müsst Hunger haben. Das Essen ist gleich so weit. Gleich gibt es schon einmal etwas Brot, dann decke ich den Tisch.«
    Klara stand auf, ging zu der Arbeitsfläche und sagte: »Lass mich das Brot schneiden.« Sie war froh, dass sie sich nützlich machen konnte.
    Raúl beobachtete Klara dabei, wie sie den Laib Brot auf dem Holzbrett zunächst mit der Schnittseite nach rechts drehte, das Brotmesser nahm und dann mit geübten Bewegungen mehrere absolut ebenmäßige, gerade, gleich dicke Scheiben abschnitt. Ihr Hinterteil wackelte dabei, und er erwischte sich bei Phantasien, die in diesem Raum völlig fehl am Platz waren. Als sie den Brotkorb auf den Tisch gestellt hatte und sich wieder hinsetzte, sagte er zu ihr auf Portugiesisch: »Mein Vorschlag war ernst gemeint.«
    Er schlug dabei einen völlig sachlichen Ton an, so dass die anderen unmöglich erraten konnten, worum es sich handelte. Doch als gerade niemand hinsah, schenkte er ihr ein kleines, unverschämtes Grinsen, das Klaras Herz wie wild hüpfen ließ. Sie wusste nicht, ob vor Entrüstung oder vor Freude.

[home]
52
    A m Abend hatte die kleine Gruppe eine ganze Flasche Schnaps geleert. Die anfängliche unterschwellige Feindseligkeit war einer ausgelassenen Stimmung gewichen. Joaninha hatte man mit einem Käsebrot abgespeist und wieder nach draußen geschickt, was ihr nur recht war. Und dann, mitten beim Kauen eines Bissens Kuchen, bekam Raúl endlich den Gedanken zu fassen, der ihm schon den ganzen Nachmittag im Kopf herumgespukt, ihm aber immerzu entwischt war. Jetzt, da er gar nicht mehr darüber nachgegrübelt hatte, war er von allein aufgetaucht.
    »Frag sie, ob sie Linkshänderin ist«, wies er Klara in kaltem Ton an. Für Höflichkeitsfloskeln fehlte ihm plötzlich der Sinn.
    »Was soll das? Natürlich ist sie das nicht.«
    »Frag sie.«
    Klara zuckte die Achseln und wandte sich Christel zu: »Er will wissen, ob du Linkshänderin bist.«
    Raúl entnahm der empörten Miene und den beleidigten Ausrufen, dass Christel dies weit von sich wies. Wahrscheinlich war es bei diesen Leuten kaum anders als bei ihnen: Die Benutzung der linken Hand zum Schreiben wurde den Kindern frühzeitig ausgetrieben. Es war die »falsche« Hand. Dennoch kannte er einige Leute, denen man die Linkshändigkeit noch deutlich anmerkte.
    Wer den Löffel beim Essen in der linken Hand hielt oder die Zigarre mit links rauchte, gehörte seiner Meinung nach eindeutig zu jenen, die, obwohl sie mit rechts schrieben, als Linkshänder geboren worden waren. Genau wie jene, die das Brot mit links schnitten.
    Er schilderte Klara seine Beobachtung vom Mittagessen.
    »Na und?« Sie sah ihn verständnislos an.
    »Selbst wenn es so wäre – willst du mir den Umgang mit ihr verbieten, weil sie, und auch nur vielleicht, Linkshänderin ist?«
    »Von meinem Bekannten bei der Zeitung weiß ich, dass dein Mann von einem Schlag getötet wurde, der von links ausgeführt wurde.«
    Klara schlug sich die Hand vor den Mund. »Du glaubst doch nicht etwa …?«
    »Frag deine Freundin doch einfach direkt danach.«
    »Was ist los?«, wollte Franz nun wissen. »Was sagt der Knilch?«
    Klara wusste nicht recht, wie sie ihren Nachbarn möglichst schonend beibringen sollte, welchen ungeheuerlichen Verdacht Raúl geäußert hatte.
    »Sag es ihnen schon. Du übersetzt ja nur – ich nehme alle Schuld auf mich.« Raúl lächelte ihr aufmunternd zu.
    »Er … er meint, genauer gesagt, er weiß, nämlich von einem Zeitungsschreiber, der den Fall näher untersucht hat, dass, ähm, also dass der tödliche Schlag auf Hannes’ Kopf von einem Linkshänder ausgeführt wurde.«
    Franz stand so abrupt auf, dass sein Stuhl bedenklich wackelte. Auch Christel sprang erschrocken auf und hörte dem Wortschwall ihres Mannes mit bestätigendem Nicken zu.
    »Das ist ja wohl die Höhe! Raus aus unserem Haus! Was fällt ihm ein, diesem aufgeblasenen Wichtigtuer? Und du, du … wie kannst du es wagen, mit diesem Kerl hier aufzukreuzen und uns in unserem eigenen Haus solcher Dinge zu beschuldigen? Kannst gleich mit ihm gehen, bist doch eh schon sein Liebchen. Na los, mach schon, haut ab. Ich will diesen Hurenbock und dich verlogenes Flittchen hier nie wiedersehen!«
    Klara fiel vor Schreck die Kinnlade herunter. Die Heiterkeit, die ihre Plauderei am Nachmittag bestimmt hatte, war so falsch und künstlich gewesen, dass sie sich fragte, wie weit ihre »Freundschaft« eigentlich ging. Wie hatte sie

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