Das Mädchen am Rio Paraíso
Scheffel besaß. Es wäre schön gewesen, Äpfel zu haben. Aber mit hiesigen Zutaten würde es sicher auch funktionieren. Ein Bananenstreuselkuchen? Warum nicht? Christel band sich ihre Schürze um und machte sich ans Werk. Die Gardine würde bis morgen warten können.
Als sie am Nachmittag bei den Wackernagels eintrafen, ging es dort bereits hoch her. Fast alle Leute aus der näheren Umgebung waren gekommen, um Johann zu seinem Vierzigsten zu gratulieren. Der Chor brachte ein Ständchen, es wurde viel gelacht und noch mehr getrunken. Liesel Hoffmann fiel kurz in Ohnmacht, weil ihr der Alkohol bei der Hitze nicht so gut bekommen war, und der kleine Sohn der Witts erstickte fast an einem Schluckauf, konnte sich jedoch bald wieder den vielen Kuchenplatten widmen und durch seine Gefräßigkeit womöglich den nächsten Schluckauf herbeiführen. Beide Vorfälle belebten die Geburtstagsgesellschaft nur, anstatt sie zu beunruhigen.
Ein paar Leute wunderten sich darüber, dass Hannes nicht erschienen war. Er ließ sich doch sonst keine Feier durch die Lappen gehen? Das Klärchen, na ja, das erstaunte niemanden, dass sie nicht kam. Sie schien ein wenig durcheinander zu sein und mied in letzter Zeit die meisten geselligen Anlässe. Aber Hannes? Allzu lange beschäftigten die Leute sich allerdings nicht mit dieser Frage. Es war ein zu schöner Nachmittag, um ihn mit nutzlosen Sorgen zu vergeuden.
Nur Christel wirkte abwesend und nachdenklich, was eigentlich gar nicht ihre Art war. Wenn Hannes sich ein Fest entgehen ließ, konnte etwas nicht stimmen. War er zu Hause geblieben? War es zwischen ihm und Klärchen zu einem weiteren Streit gekommen? Und wenn ja: Würde die Gluthitze dieses Tages seinen Jähzorn nicht noch weiter steigern? Das Klima hatte auf einige Menschen diesen Effekt, besonders auf angetrunkene Männer. Es machte sie aggressiv und wütend. Christel mochte sich gar nicht vorstellen, was Klärchen, vielleicht genau in diesem Moment, auszustehen hatte.
Sie ging zu Franz hinüber, der in einer Runde aus lautstark palavernden Männern stand, die versuchten festzustellen, wer von ihnen der unerschrockenste Dschungelkämpfer war. Sie zog an seinem Ärmel und flüsterte ihm ins Ohr: »Wir müssen los. Du hast es mir versprochen.«
»Ach, Christel! Hör doch auf, mich mit anderer Leute Ehekrächen zu behelligen. Es geht uns nichts an, basta.«
»Franz.« Ihr Ton war scharf, aber Franz gab sich davon unbeeindruckt.
»Du siehst doch, dass es jetzt nicht passt. Es war sowieso eine Schnapsidee, ausgerechnet heute diesen Besuch machen zu wollen. Lass uns morgen hinfahren, ja?«
»Nein, Franz. Irgendetwas ist faul, das spüre ich.«
»Ha«, rief der bucklige Wolfram dazwischen, »meine Frau hat auch immer so Vorahnungen – besonders wenn es darum geht, sich vor der Arbeit zu drücken. Gestern hat sie genau gespürt, dass sie das Huhn nicht rupfen durfte, weil sonst ein Unglück drohte.« Die anderen Männer fielen in sein Gelächter mit ein.
Christel war nicht nach Lachen zumute. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr bekam sie es mit der Angst. Zur Not würde sie sich eben allein auf den Weg zu den Wagners machen – Franz konnte mit den Hofers heimfahren, die kamen ohnehin an ihrem Haus vorbei. Ja, sie würde ihren Besuch wie geplant abstatten. Wofür hatte sie schließlich das kostbare Weizenmehl verarbeitet? Ganz sicher nicht, damit sie und Franz sich auch am Abend und morgen noch mit Kuchen vollstopfen konnten.
»Franz, ich meine es ernst. Ich fahre da jetzt hin, ob du mitkommst oder nicht.«
»Lass dem Weib jetzt seinen Willen«, rief Buckel-Wolfram wieder dazwischen, »dann bekommst du heute Nacht auch deinen.« Die Männer brachen in derbes Gegröle aus.
»Tu, was du nicht lassen kannst«, sagte Franz achselzuckend und widmete sich gleich darauf wieder seiner Runde.
Christel verzog sich schnell, bevor er es sich noch anders überlegen konnte. Unter anderen Umständen hätte er ihr schlichtweg verboten, sich allein auf den Weg zu machen, aber vor den anderen Männern hatte er sich gern großzügig geben wollen. Sie verabschiedete sich unter einem fadenscheinigen Vorwand von den Gastgebern und einigen anderen Leuten, die sie länger nicht gesehen hatte. Sie hatte ja selber keine rechte Lust, sich so bald schon von dem Geburtstagsfest zu entfernen, doch ihre ungute Vorahnung steigerte sich praktisch von Minute zu Minute.
Während der Fahrt verstärkte sich dieses Gefühl noch. Bei Hannes und
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