Das Mädchen am Rio Paraíso
verstehen, und Ihr Gesichtsausdruck ist wirklich zum Fürchten. Außerdem müssen Sie sich ja auch nicht so anschleichen – fast wie ein Indio, so leise.« Sie machte eine schwungvolle Drehung und wies auf den Backofen. »Aber gleich gibt es ganz frisches, warmes Brot, das Sie doch so gerne essen. Hm, stellen Sie sich nur vor, wie die Butter darauf zerläuft …«
Raúl grinste. Ja, darauf freute er sich. Der Duft in der Küche ließ ihm bereits das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es gab doch kaum etwas Köstlicheres als frisch gebackenes Brot.
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7
I ch ging gern zum Backhaus unseres Dorfes – zum »Backes«, wie wir es nannten. Das Aroma von frisch gebackenem Brot gehörte zu den verführerischsten Düften, die ich kannte, was allerdings nicht viele waren. Der von Flieder im Mai, der von den Rosen des Pfarrhauses in Hollbach im Juli, der von Mutters Pflaumenkuchen im September – und natürlich der von Zimt und Nelken im Advent.
Der köstliche Geruch war aber nicht der Hauptgrund dafür, warum ich immer freiwillig zum Backes ging. Es war vielmehr so, dass ich jede Gelegenheit nutzte, um von unserem Hof wegzukommen und mich den Augen der Burschen im Dorf darzubieten. Ich genoss es, wenn sie mir nachsahen. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin, schön und anmutig und in feinstes Tuch gehüllt. Dass ich verblichene Kleider trug und von der vielen Arbeit im Freien eine ganz und gar unvornehme Bräune hatte, die sich vor meinem hellblonden Haar nur noch dunkler abhob, tat meiner Selbsttäuschung keinen Abbruch.
Ich war vierzehn Jahre alt und rein körperlich betrachtet längst kein Kind mehr. Ich hatte vor zwei Jahren meine Periode bekommen und hatte voll entwickelte Brüste, leider, denn sie waren nur von mittlerer Größe und machten auch keine Anstalten, weiter zu wachsen. Aber den Männern schien mein Körper zu gefallen, und das wiederum gefiel mir. Dass ich hübsch war und eine ansprechende Figur hatte, bestätigten mir auch die missgünstigen Blicke, mit denen mich die eine oder andere Matrone im Backes bedachte.
Damit, dass Schusters Friede mich nicht leiden mochte, weil ich viel zu gut für ihren krummbeinigen Sohn war, konnte ich leben.
Mit der Ilse Schmidt dagegen musste ich mich gutstellen. Ihr Sohn, Michel, war mein großer Schwarm, und ich malte mir manchmal aus, wie es wäre, wenn wir verheiratet wären. In diesen Tagträumen war es immer Sommer. Wir hatten nur Freude und waren allseits beliebt. Wir gingen fleißig und wohlgemut unserer Arbeit nach, er der seinen als Schmied, ich der als Hausfrau und Mutter von vielen bildschönen Kindern. Wir hatten immer genug zu essen und mussten nie frieren. Abends in der Stube wurden bei uns Geschichten erzählt, oder es wurde gemeinsam gesungen. An manchen Tagen saß ich still und zufrieden an meiner Handarbeit, während Michel sich im Schaukelstuhl zurücklehnte und eine Pfeife genoss. Ja, das wäre schön … Der einzige Haken an dieser himmlischen Vision war, dass der Michel mich gar nicht wahrzunehmen schien. Wahrscheinlich hatte er nur Böses über mich gehört, denn er war der beste Freund von Matthias.
Meine Schwärmerei für Michel wich schon wenige Wochen später einer neuen ewigen Liebe. Wilfried war drei Jahre älter als ich und allein dadurch anbetungswürdig. Er war praktisch schon ein Mann, und anders als im Umgang mit den Jungen in meiner Altersklasse bekam ich bei ihm vor lauter Respekt feuchte Hände und Herzklopfen. Dass er garstige Pickel im Gesicht hatte, störte mich dabei nicht im Geringsten. Allerdings hörte ich schon am 1 . Mai auf, ihn anzuhimmeln. Unter dem Maibaum nämlich hatte er den Arm um mich gelegt und mich, als gerade keiner hinsah, geküsst, aber er machte es nicht ruhig, seine Zunge in meinem Mund fühlte sich nicht wirklich gut an. Genauer gesagt, sie entsetzte mich. Ich hielt Wilfried fortan für einen Perversen und sprach nie wieder mit ihm. Noch wochenlang nach diesem unschönen Vorkommnis hatte ich panische Angst davor, schwanger zu sein.
Seit Hildegard verheiratet war, weil sie mit dem Kelbelschen Knecht »in die Büsche« gegangen war, was auch immer das bedeuten mochte, war ihre größte Sorge, dass mir etwas Ähnliches widerfahren würde. Immer wieder hatte sie mir ins Gewissen geredet, ich solle mich nur ja nicht küssen oder gar berühren lassen, bevor ich verheiratet war. Und so war ich fest davon überzeugt, dass alles, was über Blickkontakt mit einem Burschen hinausging, zu einer Schwangerschaft
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