Das Mädchen am Rio Paraíso
ich will auch nicht für etwas geradestehen müssen, was ich nicht verbrochen habe. Die Leute halten mich für die Mörderin meines Mannes, und wenn ich sonst auch wenig weiß, das weiß ich genau: Ich war es nicht. Aber ich möchte auch meinen Verdacht gegen die Christel nicht herumerzählen, um ihn von mir abzulenken. Die Christel hat sich meiner Tochter angenommen, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Sie hat auch – wenn sie es denn war – mein Leben gerettet, denn ob Sie es glauben oder nicht: An jenem verhängnisvollen Tag wollte mein Mann mich umbringen. Er hatte die Mordlust in den Augen stehen. Die Person, die hinter ihm aufgetaucht ist, ob Christel oder ein Indio oder Gott weiß wer, hat ihn, möglicherweise aus dem spontanen Wunsch heraus, mir zu helfen, davon abgehalten. Insofern kann man wohl wirklich von einem Unfall sprechen, von einer unseligen Verkettung von Zufällen.«
Es war totenstill in dem Beichtstuhl. Erst nach ein oder zwei Minuten löste der Pfarrer sich aus seiner Erstarrung. Er trug Klara eine Reihe von Gebeten auf, die sie zur Buße sprechen sollte, und entließ sie dann mit seinem Segen.
Klara fand das Verhalten des Geistlichen ein wenig merkwürdig, verließ aber das Kirchlein mit einem Gefühl der Erleichterung. Sie hatte das Richtige getan.
Am Mittag traf sie Raúl, der mit mürrischer Miene vom Fähranleger kam.
»Sie sollte eigentlich heute Nachmittag auslaufen, wie du weißt. Aber nun geht die Fähre erst morgen, weil sie noch auf eine wichtige Fracht warten.«
»Tja.« Klara bedauerte dies genauso sehr wie er. Sie hasste es, den schweren Abschied noch weiter hinauszögern zu müssen. Ihr wäre es lieber gewesen, sie hätte den schmerzhaften Moment schnell hinter sich bringen können. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie an das Leben dachte, das nun vor ihr lag. Ohne ihn.
»Ich habe auch für dich und dein Kind Plätze reservieren lassen.«
»Oh.«
»Na, ich kann euch doch nicht zurücklassen.«
Sie schluckte schwer. »Dein Angebot ist sehr schmeichelhaft. Aber ich muss jetzt hierbleiben. Versteh das doch. Ich muss um unser Grundstück kämpfen, denn wie es aussieht, hat die Einwandererbehörde es bereits neuen Siedlern zugeteilt. Ich muss meinen Ruf wiederherstellen, damit Hildchen nicht eines Tages ausbaden muss, was ich … was Hannes angerichtet hat. Man muss die Ereignisse erst mal sacken lassen. Und ich muss natürlich die Trauerzeit abwarten.«
»Warum? Du trauerst doch gar nicht um deinen Mann. Du trauerst um das Leben, das du dir erhofft hattest und das nicht so geworden ist wie geplant. Was hält dich hier?«
Bevor er seine Argumentation zu Ende führen konnte, kamen zwei Bekannte von ihr vorbei, grüßten sie und steckten dann die Köpfe zusammen, um, wie es den Anschein hatte, über das sonderbare Paar herzuziehen.
»Auf den Straßen dieses Kaffs ist man keine Sekunde allein. In der Herberge auch nicht. Lass uns später irgendwo treffen, wo wir ungestört sind.«
Klara wurde rot.
»Nein, nicht in deinem oder meinem Zimmer. Irgendwo – zum Reden.«
»Das ist keine gute Idee.«
»Selbst wenn es das nicht wäre – wobei ich es für eine ausgezeichnete Idee halte –, es ist unser letzter gemeinsamer Abend in São Leopoldo. Ich bitte dich drum, schenk ihn mir.«
Klara zögerte, willigte dann jedoch ein. Wenn das alles war, worum er sie bat, würde sie ihm den Wunsch kaum abschlagen können, nach allem, was er für sie getan hatte. Er war immerhin ihr Lebensretter.
»Also gut. Aber lass uns den Wagen nehmen. Und Joaninha soll uns begleiten.«
Raúl hob verächtlich die Augenbrauen, als fände er ihre Bedenken provinziell und rückständig. »Na schön. Sagen wir, so gegen vier Uhr?«
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55
P ünktlich um vier Uhr nachmittags fand Raúl sich in der Schankstube ein. Klara saß dort bereits, auch Joaninha war bereit zur Abfahrt.
»Ich passe gut auf das Hildchen auf. Seht zu, dass es nicht zu spät wird.« Antonia, hochschwanger, trug ihr eigenes Kind auf der Hüfte und hielt Hilde, die zwischen ihren Beinen stand, mit einer Hand auf dem Kopf davon ab, fortzulaufen. Sie hatte keine Sekunde an dem gezweifelt, was Klara ihr als Grund für die Fahrt genannt hatte: Sie müssten zu Johann Ungerer fahren, der früher, in Deutschland, Rechtsanwaltsgehilfe gewesen war, und ihn um juristischen Beistand bitten, damit sie ihr Grundstück wieder zurückbekäme.
»Ich drück dir die Daumen, Klärchen!«, rief sie ihnen nach.
Sie bestiegen den Wagen, Raúl
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