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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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mit Hannes versöhnt, mit ihm geschmust und ihm erklärt, dass ich das alles nicht so gemeint hatte. Die Schuld, so redete ich mir ein, lag allein bei mir. Dennoch riss ich mich zusammen und machte einen großen Bogen um Hannes, sein Elternhaus, seine Lieblingslokale und alle Orte, an denen die Wahrscheinlichkeit hoch war, ihm zu begegnen. Insgeheim jedoch sehnte ich ein zufälliges Treffen herbei.
    Meine Gemütslage war ähnlich jener zu Beginn unserer Verliebtheit, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Ich bekam hektische rote Flecken, sobald ich auch nur in die Nähe seines Hauses kam. Meine Knie wurden weich, wenn der Postbote mal einen Brief vorbeibrachte, weil ich die absurde Hoffnung hegte, Hannes würde mich mit schriftlichen Liebesschwüren zurückerobern wollen – eine aberwitzige Idee, zugegeben, denn Hannes war in der Schule sehr schwach in Lesen und Schreiben gewesen. Einmal bekam ich sogar eine Gänsehaut, weil ich eine Wirtschaft betreten hatte, in der der unverwechselbare Duft von Hannes’ Pfeifenrauch hing. Mir schlug das Herz wie wild, wenn irgendjemand Hannes’ Namen fallenließ, was in dieser Zeit mehrfach der Fall war. Ein unschönes Gerücht machte nämlich die Runde, wonach Hannes ein Liebchen in Gemünden in Schwierigkeiten gebracht haben sollte. Ich glaubte kein Wort davon, und keiner, der diese Geschichte erzählte, wusste Genaueres zu berichten, was ja wohl als Beweis gelten konnte, dass nichts dran war. Nur neidisches Gerede, sonst nichts.
    Ich bezweifelte, dass das erwünschte Ziel von Tante Mechthilds Rarmachen jenes war, dass
ich
mich verzehrte. Es hätte doch umgekehrt sein müssen, oder nicht? Nun, vielleicht war es ja auch so. Ich genoss die Vorstellung von einem sich grämenden Hannes, der in unbändiger Verzweiflung nach Simmern ritt, um dort den schönsten und teuersten Verlobungsring zu kaufen. Ich gab mich Tagträumen hin, in denen Hannes mich reuevoll um Verzeihung bat, mir ewige Liebe schwor und mich schließlich zum Altar führte, wo ich die anmutigste Braut wäre, die Ahlweiler je gesehen hatte.
    Aber es kam natürlich alles ganz anders, wenngleich das Ergebnis Tante Mechthild, der Herr hab sie selig, bestimmt erfreut hätte. Am 15 . August, es war der vierte Geburtstag meines jüngsten Neffen, und ich tanzte gerade mit dem Kind um die Kastanie vor unserem Haus herum, kreuzte Hannes auf. Ein blaugrünes Veilchen prangte unter seinem Auge, aber ich tat so, als hätte ich es nicht bemerkt. Ich gab mich bewusst kühl.
    »Na, hast dir ja schnell einen neuen Tänzer angelacht.«
    »Oh, und er liebt mich ohne Vorbehalt. Stimmt’s, Lorenzchen«, damit hob ich den Kleinen hoch und machte eine schwungvolle Drehung, »du würdest mich auf der Stelle heiraten?«
    Hannes zog eine belämmerte Miene. »Na, viel Spaß. Ich fahre derweil nach Brasilien. Klappt sicher auch ohne dich ganz gut.«
    Alle meine Vorsätze, mich unnahbar zu geben, schwanden dahin. »Ist das wahr, Hannes? Wann geht es los? Erzähl!«
    »Ach, lass. Heirate das Lorenzchen.«
    »Jetzt sei doch nicht so. Komm, es tut mir leid, in Ordnung? Das wollte ich dir schon längst gesagt haben. Du hast mir gefehlt.«
    »Ja?«
    »Ja. Und hast du mich denn auch ein bisschen vermisst?«
    »Ein bisschen.« Er grinste. Ich fand ihn hinreißend, wenn er so eine schiefe Grimasse zog und seine Wangen sich in Falten legten. Meine Güte, wie hatte ich es nur drei Wochen lang ohne ihn aushalten können? Ich warf mich ihm in die Arme, und er zog mich an sich. Wir küssten uns innig und wären wahrscheinlich noch weitergegangen, direkt vor meinem Elternhaus und am helllichten Tag, wenn nicht der kleine Lorenz eifersüchtig an meinem Rock gezerrt hätte.
    Ich brachte das Kind zu seinen Eltern, holte einen Krug Apfelwein sowie zwei tönerne Becher nach draußen und setzte mich mit Hannes auf die Steinbank.
    »Auf uns«, flüsterte ich.
    »Auf uns«, prostete er mir zu.
    Dann berichtete er. Hannes hatte seinen Vater gebeten, ihm einen Vorschuss auf das zu erwartende Erbteil auszuzahlen. Dem Ganzen war laut Hannes’ Schilderung eine zähe Debatte vorausgegangen, doch schließlich war es ihm gelungen, seine Eltern davon zu überzeugen, dass sie ihn ohnehin nicht halten konnten. Entweder ginge er mittellos, oder aber er ginge mit einem kleinen Anfangskapital, aber gehen würde er auf alle Fälle. Sein Vater hatte ihm seine gesamten Ersparnisse gegeben. Es war nicht viel Geld, denn auch die Wagners waren wahrlich keine reichen Leute, aber es

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