Das Mädchen am Rio Paraíso
davon anfing.
»Natürlich müsstet ihr vorher heiraten«, warf Theo eines Tages ein, als ich erneut meinen Mund nicht halten konnte.
»Nur über meine Leiche«, ereiferte sich Matthias, »Klärchen soll keinen Evangelischen heiraten.«
»War er nicht mal dein Freund?«, fragte ich.
»Das ist doch was ganz anderes.« Weiter erklärte Matthias diese Aussage nicht.
»Zum Glück brauche ich nur Vaters Segen und nicht deinen.« Ich senkte den Blick und konzentrierte mich voll auf meine Bohnensuppe, um mir meine Wut über Matthias’ ständige Einmischungen nicht anmerken zu lassen.
»Du brauchst aber außerdem Geld«, meinte Theo. »Wenn ihr das wirklich machen solltet, musst du ja die Reise irgendwie bezahlen. Ich meine gehört zu haben, dass jeder Auswanderer nachweisen muss, dass er 150 Taler besitzt. Wo willst du die hernehmen? Ach, ich bezweifle eh, dass das jemals was gibt.«
Der Einwand gab mir zu denken. Bisher war ich immer davon ausgegangen, dass Hannes mich zu seiner Frau nehmen und die Kosten für mich mittragen würde. Aber Hannes hatte einen anderen Plan, den ich nur deshalb für gut befand, weil er so etwas Verwegenes und Wildromantisches hatte. Er wollte, dass uns der Kapitän des Transatlantikschiffes traute.
»Natürlich gibt das nichts«, nahm Hildegard die Bemerkung ihres Mannes auf. »So eine Schnapsidee – Brasilien! Klärchen kann uns doch nicht einfach im Stich lassen. So schlecht geht es uns ja nun auch wieder nicht. Man geht doch nicht einfach weg aus seinem Dorf, von seinen Leuten, nur weil man den Winter nicht mag. Was für ein Quatsch. Und jetzt Schluss mit dem dummen Gerede!«
»Kommst du uns denn besuchen, Tante Klara, wenn du in Basilen bist?«, fragte Hildegards kleine Tochter mich mit weinerlicher Stimme.
Es rührte mich, dass wenigstens einer in meiner Familie so tat, als würde er mich vermissen. Zugleich spürte ich das erste Mal einen winzigen Anflug von Angst: Die Entscheidung wäre unwiderruflich. Ich würde meine Nichte nicht mal schnell besuchen können. Ich würde überhaupt niemanden aus meiner Sippe jemals wiedersehen. Während mir diese Aussicht auf Anhieb äußerst verlockend erschienen war, musste ich realistischerweise zugeben, dass es auf Dauer vielleicht ein wenig traurig wäre. Nie wieder Hildegards mütterliche Ratschläge hören, nie wieder Lukas’ Frotzeleien ausgesetzt sein, nie wieder die anhängliche kleine Luise auf den Arm nehmen – doch, sie würden mir fehlen, meine Leute, sosehr sie mich manchmal auch ärgerten und einengten. Wahrscheinlich würde ich sogar Theos bodenständige Art vermissen. Und meinen Vater – in nicht allzu ferner Zukunft würde er sterben, und ich würde nicht einmal zur Beisetzung kommen können. Bei dem Gedanken stiegen mir die Tränen in die Augen.
Ach was, rief ich mich zur Vernunft, wenn wir erst in Brasilien wären, würden wir unsere eigene Familie gründen und keinen Gedanken mehr an die Verwandtschaft in Ahlweiler verschwenden. Für mich stand fest, dass wir mindestens acht Kinder haben würden, denn kleinere Familien kannten wir kaum. Unsere Kinder würden frei von jedem Ballast aufwachsen, vor dem Hannes und ich zu entkommen suchten. Sie würden im christlichen Glauben erzogen werden, basta. Wo es keine Kirche gab, und dort im Urwald stand bestimmt keine, da gab es auch keine scharfe Trennung zwischen katholisch und evangelisch. Sie würden nie frieren und nie hungern müssen. Sie würden von uns alles an Liebe und Herzenswärme erfahren, dessen wir fähig waren. Hannes würde die Jungen in handwerklichen und landwirtschaftlichen Dingen unterweisen, ich würde unseren Töchtern alles an Haus- und Handarbeiten beibringen. Gemeinsam würden wir sie zu moralisch einwandfreien Menschen erziehen, die ehrlich und arbeitsam waren. Vor allem aber würden sie eine Freiheit kennenlernen, die wir selber uns hart erarbeiten mussten. Das war ein Ziel, für das es sich lohnte, Sentimentalitäten über Bord zu werfen.
Im Juli, während der Kirmes, hatten Hannes und ich unseren ersten üblen Streit. Wir hatten uns mal wieder verdrückt, um unsere körperlichen Begierden zu befriedigen. Es war sehr schön gewesen, und ich räkelte mich wohlig in Hannes’ Armen, als ein unbequemer Gedanke an mir zu nagen begann. Was, wenn ich jetzt schwanger werden würde?
»Würdest du mich denn dann heiraten, Hannes?«
»Bitte, Klärchen, was stellst du nur für dumme Fragen. Das versteht sich ja wohl von selbst.«
»Und warum tust
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