Das Mädchen am Rio Paraíso
putzen erschien ihr zu diesem Zeitpunkt mehr als unangemessen, sie wollte die beiden schließlich nicht länger mit ihrer Anwesenheit belästigen als nötig.
Aber Josefina und Raúl beachteten sie gar nicht.
»Tja«, sagte Josefina, »›der gute Cognac‹ ist hin. Gönnen wir uns auf diesen Schreck den guten Sherry?«
»Gönnen wir uns lieber ein paar Schritte an der frischen Luft – die Aktienkurse sind nämlich gestiegen.« Er nahm sie am Arm und führte sie in den Flur. Dort stand ihr Sonnenschirm an einen Stuhl gelehnt, die Handschuhe lagen glattgestrichen auf der Lehne. Josefina griff danach und meinte: »Das müssen Sie mir unterwegs erzählen, wo Sie Ihr dusseliges Hausmädchen herhaben. Sie sieht ja ganz adrett aus, aber sie scheint mir ein wenig, ähm, zurückgeblieben zu sein.«
»Ja, das ist eine längere Geschichte. Ich erzähle sie Ihnen gleich, wenn wir draußen sind.«
Sie verließen das Haus in dem Moment, in dem Klara aus dem Salon trat. Sie hatte sich an einer Scherbe geschnitten und ging, leise auf Deutsch vor sich hin schimpfend, in die Küche. Dort lief Teresa hektisch herum, um auf die Schnelle einen Imbiss für den unerwarteten Besuch zuzubereiten. Wahrscheinlich hatte Senhor Raúl sie deshalb so schnell aus dem Haus geschleppt, um ihr, Teresa, diese Zeit zu geben – er konnte wirklich rücksichtsvoll sein, der Junge, wenn er wollte. Sie schnitt ein paar Stücke von dem Kuchen ab, den es heute Abend zum Nachtisch hätte geben sollen, wies Klara an, einen Kaffee aufzusetzen, wusch etwas Obst, das sie anschließend kunstvoll in einer Schale drapierte, und belud dann ein Tablett mit allem. Dazu stellte sie noch eine Schale mit Keksen, außerdem Milchkännchen und Zucker. Jetzt konnte der Besuch kommen.
Teresa zwinkerte Klara zu. »Uma sedutora e tanto, a Josefina, não é?«
Klara verstand sie nicht, entnahm aber der Miene der Schwarzen, dass ihr die Dame zusagte. Von sich selber konnte sie das nicht behaupten. Sie war selten jemandem begegnet, der ihr auf Anhieb so unsympathisch war. Allerdings war sie auch so gut wie nie einer vornehmen Dame begegnet, ganz zu schweigen von einer brasilianischen. Vielleicht benahmen die sich alle so hochnäsig?
Klara blätterte in ihrem zerfledderten, kostbaren Wörterbuch. Schade, dass genau die Seite fehlte, auf der sie »Gans« gefunden hätte. Nun, die Seite mit »Ziege« war ja wenigstens noch da. Sie sagte das Wort, und Teresa wieherte vor Vergnügen.
»Tem ciúmes, hein?«
Klara beantwortete die Frage, die sie natürlich wieder nicht verstanden hatte, mit einem Grinsen.
»Also, wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre und keine dicke schwarze Negerin, ich würde ihn mir sofort schnappen, den Senhor Raúl. Er ist doch wirklich zum Anbeißen, der Junge.«
Wieder verzog Klara nur die Lippen zu einer halb belustigten, halb resignierten Miene.
Ihr Dauerlächeln legte sich in dem Moment, in dem Josefina und Raúl vorzeitig zurückkamen. Die hübsche Dame humpelte theatralisch. Sie hatte sich bei Raúl untergehakt, in der anderen Hand hielt sie den geöffneten Sonnenschirm, obwohl es sich schon wieder bewölkte. Es zog ein Gewitter herauf. Josefina sah ein wenig zerzaust aus: Aus ihrer Frisur hatten sich einige Strähnen gelöst, ihre Wangen waren gerötet, und ihr Kleid war auf Höhe der Knie fleckig.
»Ein Tag voller Missgeschicke«, sagte Raúl, als sie hereinkamen und Teresa im Flur bereitstand. »Die hübsche Senhorita ist gestürzt, aber es ist Gott sei Dank nichts Schlimmes passiert.«
»Nichts Schlimmes? Mein Kleid ist ruiniert!« Josefina löste sich ächzend von Raúls Arm, humpelte in den Salon und ließ sich auf einen Sessel fallen. »Was für ein Glück, dass ich auf meinem Weg hierher bei der Schneiderin vorbeikam – oder vielmehr verhielt es sich umgekehrt: dass ich, als ich bei der Schneiderin war, merkte, wie nahe Ihr Haus lag, so dass ich mich zu diesem spontanen Besuch entschied. Nun ja, wie auch immer. Ich habe jedenfalls ein nagelneues Kleid abgeholt, das in meiner Kutsche liegt. Es wäre wunderbar, wenn es jemand holen könnte.«
Josefina bekam das Paket sofort gebracht. »Wo kann ich mich umkleiden?«, fragte sie. Teresa führte sie in eines der unbewohnten Zimmer im oberen Stock, das, ähnlich wie Klaras Zimmer, mit einer Mindestausstattung für eventuelle Übernachtungsgäste versehen war.
»Hier, bürste das aus.« Damit reichte sie Teresa das »ruinierte« Kleid, dem nichts weiter fehlte als ein paar kräftige
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