Das Mädchen am Rio Paraíso
erwiderte sein Lächeln nicht, und ich antwortete auch nichts. Welcher Mann würde eine wie mich noch wollen? Eine, die einen festen Freund gehabt hatte, der sich zudem nach Brasilien davongemacht hatte; eine, die arm wie eine Kirchenmaus war; eine, die verrückte Pläne schmiedete und sich wahrscheinlich nicht mit dem Leben zufriedengeben würde, das sie an seiner Seite erwarten konnte? Keiner. So einfach war das.
»Aber der Hannes und du, ihr seid doch gar nicht verheiratet. Wie soll das gehen?«, fragte mein ältester Neffe.
»Das geht so, dass wir auf dem Schiff heiraten. Kapitäne dürfen auf ihren Schiffen Vermählungen vornehmen.«
Sie bestürmten mich mit weiteren Fragen, und ich versuchte sie so gelassen wie möglich zu beantworten. Wir hatten das alles schon so oft durchgekaut. Irgendwann jedoch riss mir der Geduldsfaden: »Ich fahre. Mit oder ohne eure Zustimmung, mit oder ohne Geld, und wenn es sein muss, auch ohne vollständige Papiere, als blinder Passagier.« Ich stand vom Tisch auf und rannte in meine Kammer, wo ich mich an den sorgfältig aufgeschichteten Stapeln von Wäsche abreagierte, indem ich sie umsortierte und von einer Ecke in die andere trug.
Unten hatten sie wahrscheinlich meine Holzpantinen klacken gehört, wie ich da so sinnlos hin und her rannte, denn kurz darauf kam meine Schwester in mein Zimmer. »Mach dich nicht verrückt. Wird schon schiefgehen.«
Ich hätte sie abküssen können! Endlich kam einmal ein Kommentar, aus dem Sorge um mich sprach – und aus dem hervorging, dass meine Reise ab sofort beschlossene Sache war. »Das mit deinen Papieren«, fuhr sie fort, »regeln wir schon irgendwie. Vater kann ja nicht mehr unterschreiben, und solange du noch nicht einundzwanzig bist, brauchst du einen Schrieb deines Vormunds. Wenn du einverstanden bist, macht Theo das. Er kann auch mit dir zu den Behörden gehen.« Hildegards Kinn zitterte, als würde sie mühsam die Tränen unterdrücken. Umso bemerkenswerter fand ich es, dass sie mich trotzdem unterstützte und anscheinend auch ihren Mann davon überzeugt hatte, mir all seine Hilfe zuteil werden zu lassen.
Selbstverständlich war ich mit dieser Regelung einverstanden. Zwar leuchtete es mir nicht recht ein, warum und wie Theo die Vollmacht meines Vaters bekommen hatte, aber ganz gewiss war jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, das zu hinterfragen. Ich war heilfroh, wenn ich mich nicht auf dem Amt als minderjähriges und unverheiratetes »Frolleinchen« den strengen Befragungen und Blicken eines Beamten aussetzen musste. Wenn Theo dabei war, würde man mich mit deutlich mehr Respekt behandeln.
»Danke«, hauchte ich. Dann fielen wir uns in die Arme und heulten Rotz und Wasser.
Das Packen fiel mir sehr schwer. Die Anweisungen, die man uns zum Umfang unseres Gepäcks gegeben hatten, waren deutlich: Nicht mehr als eine Kiste pro Haushalt, maximal einen Meter in der Höhe, einen in der Tiefe und zwei in der Breite, die nicht mehr wog als 60 Kilo, durfte man mitnehmen. Diese Kiste würde im Frachtraum des Schiffes verstaut werden und war daher sicher zu verschließen. Sie war unterwegs nicht mehr zugänglich. Kleidung und andere Dinge des persönlichen Bedarfs mussten daher in einem separaten Koffer mitgeführt werden.
Die große Kiste füllten wir zu drei Vierteln mit Handwerkszeug von Hannes. Möbel konnten wir keine mitnehmen. Aber Holz, hatte man uns versichert, gab es mehr als reichlich in Brasilien, und als Tischler würde Hannes uns schnell das Nötigste gezimmert haben. Den Rest der Kiste befüllten wir mit Dingen, die wir vor Ort weder vorfinden noch selber herstellen konnten, mit Decken und Bettwäsche, Geschirr, Essbesteck und Töpfen. Auch die Bibel, die mir der Pfarrer aus Hollbach geschenkt hatte, als er von meiner Reise und ihren sittenwidrigen Umständen erfuhr, nahmen wir mit, des Weiteren eine Fiedel, die Hannes seinem ältesten Bruder abgeschwatzt hatte. Die Nächte würden lang und einsam werden, da mussten wir auch an die seelische und geistige Erbauung denken.
Der kleine Koffer, den ich mit an Bord nehmen würde, war ein altes, abgestoßenes Ding aus brüchigem Leder. Matthias hatte ihn von seinem Meister bekommen, der, als er von Hannes’ und meinem Abenteuer erfahren hatte, sofort seinen Dachboden nach nützlichen Dingen für uns durchstöberte. Unsere bevorstehende Abreise war das alles beherrschende Gesprächsthema im Dorf, und jeder wollte auf irgendeine Art und Weise daran teilhaben, und sei es nur
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