Das Mädchen am Rio Paraíso
Striche mit der Kleiderbürste. Es war nur staubig. Sie zog ihr neues Kleid über, das für einen nachmittäglichen Besuch bei einem alleinstehenden Mann alles andere als passend war. Es handelte sich um eine elegante Robe, ein sündhaft schönes Stück aus lila-rot changierender Seide. Es hatte ein unanständig großes Dekolleté. »Warte«, rief sie, als Teresa sich anschickte, das Zimmer zu verlassen, »hilf mir mal, die Ösen zu schließen.« Teresa tat, wie ihr geheißen, aber sie stellte sich ungeschickt dabei an. Es war lange her, dass sie einer Dame bei ihrer Garderobe behilflich gewesen war. »Herrje, so wie du daran herumreißt, machst du es nur kaputt. Geh, ich bekomme das schon selber hin.« Nichts lieber als das, dachte Teresa und huschte eilig und so leichtfüßig, wie man es bei ihrem Körperumfang nie für möglich gehalten hätte, davon. In der Wäschekammer drückte sie Klara das verschmutzte Kleid sowie eine Bürste in die Hand. Dann ging sie in die Küche, um, sobald die Herrschaften fertig wären, den Imbiss zu servieren.
Klara hielt sich das Kleid andächtig an. Was für ein herrliches Stück! Für das Fräulein Josefina war es sicher nicht mehr als irgendein Alltagskleid, eines von unzähligen ähnlichen, die ihren Schrank füllten. Für sie, Klara, war es jedoch das schönste Kleid, das sie jemals in den Händen gehalten hatte. Material und Farben – es war aus hellgrün und weiß gestreifter Baumwolle – waren der heißen Jahreszeit angemessen. Natürlich machte es so nicht viel her, man musste es schon getragen sehen, am besten über einem schön gebauschten Unterrock. An Josefina hatte das herrlich ausgesehen. Und wie sähe es an ihr selber aus?
Bevor Klara länger darüber nachdenken konnte, ob ihr Tun klug war, hatte sie ihr einfaches Schürzenkleid schon abgestreift und war blitzschnell in das edlere Teil geschlüpft. Es passte ihr wie angegossen, oder besser: es hätte wie angegossen gesessen, wenn sie denn nur die ganzen komplizierten Knöpfe, Haken und Ösen geschlossen hätte. Entzückt von dem anderen Körpergefühl, das ihr dieses Kleid verlieh, drehte sie sich im Kreis und ließ den weiten Rock fliegen. Ah, was würde sie für einen Blick in den Spiegel geben! Sie versuchte, in der Fensterscheibe einen Blick auf sich zu erhaschen, doch es war noch zu hell draußen, so dass ihr Bild nicht gut reflektiert wurde. Sei’s drum. Es war zu schön, sich einmal wie eine Prinzessin fühlen zu können – eine Prinzessin in der Wäschekammer, in derben Schuhen und mit bäurischen Zöpfen, fuhr es ihr kurz durch den Kopf. Aber nein, sie musste doch nur die Augen schließen, und schon sah sie sich mit passendem Hut, feinen Stiefelchen, Schirm und Handschuhen über einen Prachtboulevard flanieren, huldvoll ihren Bekannten rechts und links zunickend und die bewundernden Blicke der schmucken jungen Herren genießend.
Klara wurde jäh aus ihren Phantasien gerissen, als sie ein Geräusch auf dem Flur hörte. Verzweifelt sah sie sich um. Wo konnte sie sich schnell verstecken? Es gab in der Kammer keinen Schrank, in dem Platz genug für sie gewesen wäre – der große Wäscheschrank hatte Einlegeböden, in denen Laken, Handtücher und Tischwäsche fein säuberlich gestapelt lagen. Eine Truhe war ebenfalls mit Wäscheteilen gefüllt. Es blieb ihr nur, sich in der Ecke hinter der Tür zu verkriechen und zu hoffen, dass keiner so genau nachsehen würde.
Sie blieb mit hämmerndem Herzen hinter der Tür stehen. Die Schritte auf dem Flur entfernten sich. Als sie eine Weile nichts mehr gehört hatte, zog sie sich eilig um. Ihre Knie zitterten noch immer. Hoffentlich hatte niemand gesehen, was sie hier trieb. Aber dann hätte der- oder diejenige doch sicher etwas gesagt, oder? Die dumme Aninha hätte bestimmt laut herausposaunt, wie unmöglich ihr, Klaras, Verhalten war. Teresa hätte wahrscheinlich die Kammer betreten, ihr ernst in die Augen geblickt und ihr leise eine Gardinenpredigt gehalten. Und Senhor Raúl? Oh Gott, bitte lass es nicht ausgerechnet ihn gewesen sein!
Als Raúl aus dem rückwärtigen Teil des Hauses wiederkehrte, war er ein wenig durcheinander. Er hatte auf ausdrücklichen Wunsch von Josefina – »ah, diesen Anblick
dürfen
Sie mir nicht vorenthalten, es hat so etwas … Urtümliches« – seinen typischen Gaúcho-Hut von hinten geholt. Dabei hatte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung durch den Türspalt in der Wäschekammer wahrgenommen. Er war stehengeblieben und hatte
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