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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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so schnell noch nicht anbrechen. Die Wirtin machte ein Gezeter, dass es zum Fürchten war, und nur der Tatsache, dass wir ihren wunderlichen Dialekt kaum verstanden, war es zu verdanken, dass wir einigermaßen ruhig blieben. Wir gaben ihr dafür ein Glas Honig sowie mehrere Würste, womit die Frau das Geschäft ihres Lebens gemacht haben dürfte.
    In Antwerpen erging es uns nicht besser. Unser Schiff hatte Verspätung, so dass wir uns eine Herberge suchen mussten. Unsere mangelnden Sprachkenntnisse erschwerten die Suche erheblich. Mit viel Glück fanden wir schließlich eine Bleibe, die wir uns leisten konnten und die uns einigermaßen sauber erschien. Es waren dort noch andere Auswanderer, und wie die meisten aßen wir in unserer Kammer. Kochen auf den Zimmern wurde wegen der Brandgefahr nicht geduldet, also ernährten wir uns von Brot, Käse und Wurst. Aber manchmal braucht der Mensch ja auch etwas Warmes im Bauch, insbesondere im Herbst. Und da der Wirt den Eindruck machte, ein anständiger Koch zu sein, erlaubten wir uns eines Abends den ungeheuerlichen Luxus eines warmen Abendessens in seiner Gaststube. Es gab eine Fischsuppe, die köstlich schmeckte und die dank diverser Tunken und des noch warmen Brotes zum Hineinstippen sehr nahrhaft war. Was das Essen anging, war ich glücklicherweise immer sehr unkompliziert – obwohl ich nichts anderes kannte als unsere Hunsrücker Bauernkost, fand ich schnell Gefallen an andersgearteten Gerichten. Ich verschlang also diese Suppe mit größtem Appetit und aß sicher mehr davon, als mein Magen fassen konnte. Wenige Stunden später zerriss es mir die Gedärme. Und nicht nur mir. Hannes und ich waren so krank, dass uns selbst die Peinlichkeit, voreinander aus allen Körperöffnungen alles auszuscheiden, egal war.
    Am nächsten Tag stellte Hannes den Wirt zur Rede, doch der behauptete mit seinem merkwürdigen Akzent, wir Auswandererpack hätten etwas Verdorbenes aus unseren eigenen Vorräten gegessen. Dann warf er uns hochkant hinaus. Wir waren noch immer schwach auf den Beinen. Weil uns die Kraft fehlte, nach einer ordentlichen Unterkunft zu suchen, nahmen wir dann die erstbeste, oder genauer gesagt, die erstschlechteste. Als unser Schiff endlich zum Einsteigen bereit war, erschien uns das Zwischendeck, das wir später zu hassen lernten, wie das Paradies auf Erden.
    Mit erheblicher Verspätung legten wir am 8 . Oktober 1824 ab. Das Schiff, ein stattlicher Viermaster namens »Victoria«, war brechend voll mit Passagieren und Besatzung, Gepäck und Lebensmitteln. Die Stimmung an Bord war ausgezeichnet. Alle waren froh, dass es endlich losging. Die beengten Verhältnisse, die winzigen Kojen, den Mangel an Privatsphäre nahmen wir zunächst gar nicht wahr. Wir hielten uns so viel wie möglich an Deck auf, sahen in einiger Entfernung die Küstenlinie Südwesteuropas und berauschten uns an den exotischen Namen der Orte, die dort lagen. Die Fahrt durch die Biskaya, vor der man uns gewarnt hatte, verlief ruhig. Es war zwar schon recht kalt, und in dem Fahrtwind bekam man schnell eine Triefnase und rote Backen, doch von der angekündigten rauhen See war nichts zu spüren.
    Kurz nach Lissabon hieß es Abschied nehmen von Europa. Wir waren alle so euphorisch angesichts der bevorstehenden Atlantiküberquerung, dass wir, wenn überhaupt, nur einen winzigen Anflug von Wehmut spürten. Die Arbeit hielt uns ebenfalls von rührseligen Anwandlungen ab: Wir Frauen wurden zu Küchenarbeiten herangezogen, die Männer mussten den Matrosen zur Hand gehen. Wir hatten jede Menge zu tun, außerdem war alles noch neu und spannend, so dass wir uns gar nicht länger mit traurigen Gedanken herumquälten.
    Das alles änderte sich, als wir, irgendwo vor der Nordwestküste Afrikas, eine tagelang andauernde Flaute durchstehen mussten. Es war grauenhaft. Die »Victoria« bewegte sich nicht ein Stück vorwärts. Ihre Segel hingen schlaff an den Masten, traurige Zeugen eines Unvermögens, das wir als unser eigenes betrachteten. Nicht jeder von uns, die wir schon so lange unterwegs und sehr ungeduldig waren, endlich unser Ziel zu erreichen, war in der Lage, mit der Situation umzugehen.
    Es gab Streit unter den Frauen. Die Männer betranken sich an dem guten Obstler, den sie für harte Zeiten mitgenommen hatten. Es gab eine Schlägerei unter zwei gestandenen und bislang zurückhaltenden Handwerkern aus dem Taunus, der sich weitere Männer anschlossen, darunter auch Hannes. Hinterher wusste keiner mehr so genau,

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