Das Mädchen am Rio Paraíso
um was es eigentlich gegangen war. Es hieß, der eine hätte die Frau des anderen unschicklich berührt, was ich nicht recht glauben mochte, denn die betreffende Frau war äußerst unansehnlich.
Eine Ehefrau war ich übrigens nun selber. Hannes hatte die Flaute gleich zu Beginn genutzt, um den Kapitän darum zu bitten, uns miteinander zu vermählen. Der Kapitän, einer der griesgrämigsten Männer, die mir je begegnet sind, stimmte, so schien es mir, nur zu, um sich selber ein wenig Ablenkung zu verschaffen. Die Zeremonie dauerte keine fünf Minuten und war so unromantisch wie der Kauf eines Kochtopfs. Trotzdem feierten wir mit allen Mitreisenden. Der Höhner-Heinz aus Westfalen spielte auf seinem Akkordeon ein paar schwungvolle Lieder, zu denen wir tanzten. Von irgendwoher tauchte ein Fass Wein auf, und später gab es die erste Schlägerei. Meine Hochzeitsnacht verbrachte ich mit Hannes in meiner Koje, die schon für mich allein zu schmal war. Er schlief irgendwann auf mir ein. Am nächsten Tag hörte ich mir hämische Bemerkungen der anderen Frauen an. Wahrscheinlich waren sie nur neidisch.
Als wieder Wind aufkam, hellte sich unsere Stimmung merklich auf. Ein paar Tage lang waren wir alle guter Dinge, verrichteten klaglos unsere Arbeit und träumten von der Ankunft in unserem gelobten Land. Bis zu diesem verflixten 21 . November und dem grässlichen Unwetter. Ich hätte liebend gern den Sturm gegen eine weitere Flaute eingetauscht. Bei Windstille war mir zwar auch nicht ganz wohl gewesen, denn ohne Fahrtwind auf der Grunddünung zu schaukeln, das bekam meinem Magen nicht sonderlich gut; aber wenigstens hatte ich bis dahin nie das Gefühl gehabt, mein letztes Stündlein hätte geschlagen.
An jenem Novembertag also, als ich schon mit meinem Leben abgeschlossen hatte, kam auf einmal Hannes zu mir und überreichte mir ein kleines Päckchen. Er war selber ganz grün im Gesicht, aber er lächelte, drückte mir einen Kuss auf die Wange und sagte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
Eine besonders heimtückische Welle ergriff unser Schiff. Ich musste mich mit beiden Händen festhalten, um nicht durchs ganze Zwischendeck zu purzeln, und ließ das Päckchen fallen. Als ich mich wieder gefangen hatte, lief ich in die Ecke, wo es hingekullert war. Schwankend ging ich zurück zu Hannes. Er nahm mir das Missgeschick nicht übel.
»Oh Gott!«, stöhnte ich, und damit war alles gesagt. Mir war schlecht. Ich schämte mich, weil ich das Geschenk hatte fallen lassen. Und es erschütterte mich, dass ich meinen eigenen Geburtstag vergessen hatte, noch dazu den einundzwanzigsten. Den Tag meiner Großjährigkeit.
Bemüht, mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, löste ich das Papier von dem Päckchen. Unter anderen Umständen hätte es mich zutiefst berührt, dass Hannes weder Mühe noch Kosten gescheut hatte, mir ein richtiges, hübsch verpacktes Präsent zu überreichen. An diesem Tag jedoch ließ es mich kalt.
»Lass mal sehen«, rief Käthe Schneider aus Münster.
»Zeig her«, schloss sich ihr Trude Maier aus Koblenz an.
So seekrank waren sie anscheinend nicht, als dass sie nicht noch die Gelegenheit hätten wahrnehmen können, ihren monotonen Alltag auf dem Schiff ein wenig aufzulockern.
»Haut ab, ihr Waschweiber!« Es wunderte mich, dass Hannes sich noch immer über so etwas empören konnte. Immerhin waren wir bereits seit sechs Wochen auf See, und inzwischen kannten wir alle uns in- und auswendig, ob wir wollten oder nicht. Mir selber war es herzlich gleichgültig, ob die anderen etwas von der Bescherung mitbekamen.
Ich wickelte das Geschenk aus. Mir stockte der Atem. Es war ein kleiner, sehr aufwendig gearbeiteter Kristallflakon, der mit einer goldgelben Flüssigkeit gefüllt war. Ich öffnete den Verschluss und schnupperte daran. So etwas Wunderbares hatte ich noch nie gerochen! Das Parfüm duftete nach einer Mischung aus Rosen und Maiglöckchen. Es war das vielleicht unnützeste Geschenk auf Erden, aber ich liebte Hannes dafür umso mehr. Ich warf mich ihm in die Arme, sorgsam darauf bedacht, nichts von dem kostbaren Parfüm zu verschütten, und hauchte ihm ein leises »Danke« ins Ohr. Dann kam eine weitere schlimme Welle und schleuderte uns beide durch das halbe Zwischendeck, direkt in die Koje des Hufschmieds Höller. »Hoppla«, rief er, »so spät noch Besuch?« Wir lachten uns halbtot darüber und wankten zurück zu unseren eigenen Betten.
Ich rollte mich zusammen, erstens, um bei der nächsten Welle
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