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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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erzählt. Man konnte doch nicht in aller Seelenruhe auf der Veranda Geschirrtücher besticken, wenn man wusste, dass da in dem Siedlungsgebiet ein Mann und ein kleines Mädchen saßen, die ohne Frau beziehungsweise Mutter schwerlich zurechtkamen – immer vorausgesetzt natürlich, Klara hatte tatsächlich noch nicht die Erinnerung an jenen schicksalhaften Tag zurückerlangt und glaubte weiterhin, dass ihr Mann lebte. Nein, das war zu verrückt, um wahr zu sein.
    Und wenn nun tatsächlich das geschehen war, was der Polizist in dem Artikel so energisch ausschloss? Dass nämlich Klara ihren Mann ermordet hatte und danach geflüchtet war? Das würde allerhand erklären. Es würde ihrem falschen Namen, Liesenfeld, genauso einen Sinn geben wie ihrem denkwürdigen Zögern, als er sie gefragt hatte, ob sie nach Hause wolle. Es würde erklären, warum dem Kind nichts zugestoßen war – selbst eine Gattenmörderin würde, wenn sie nicht vollkommen entmenscht war, vor Kindsmord zurückschrecken. Es würde ebenfalls den Gebrauch der Tatwaffe in einem anderen Licht erscheinen lassen – denn dass Indios sich einer Spitzhacke oder eines ähnlichen Gegenstandes bedient haben sollten, erschien Raúl sehr weit hergeholt. Die Guaraní hielten sich lieber an ihre altbewährten Methoden des Tötens, an giftige Pfeile beispielsweise.
    Nein, nein und nochmals nein! Das konnte, das durfte nicht sein. Diese ruhige, freundliche Person, die nun seit Wochen in seinem Haus lebte, war doch keine Mörderin! Niemals war sie aufgebraust, kein einziges Mal war sie durch etwas anderes aufgefallen als durch Zurückhaltung, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft. Nun ja, abgesehen von ihrer Gedächtnisstörung. Aber die legte sich ja zusehends. Aus dem Mädchen, das sowohl er als auch Teresa anfangs für schwachsinnig gehalten hatten, war im Laufe der Wochen kaum merklich eine Stütze des Haushalts geworden – und eine Mitbewohnerin, die er ungern missen wollte.
    Seit er sie in dem hübschen Kleid gesehen hatte, war Raúls Bild von Klara ein völlig anderes. War sie vorher nur eine Bürde gewesen, irgendwie geschlechtslos, ein armes Ding, bemitleidenswert in seiner Hilflosigkeit und zusätzlich behindert durch die Sprachbarriere, so hatte sie sich an jenem Tag vor seinen Augen in eine junge Frau verwandelt. Eine außerordentlich hübsche obendrein. Warum war ihm vorher nie aufgefallen, was sie für herrliche weiße Haut hatte? Was für appetitliche runde Brüste? Und was für ein nettes, knackiges Hinterteil?
    Ja, als Frau hatte er sie seitdem betrachtet – aber doch nicht gleich als männermordendes Ungeheuer! Das passte nun so gar nicht zu der Klara, die er kennengelernt hatte, so weiblich sie ihm neuerdings auch erscheinen mochte. Und die er sich übrigens schnellstens aus dem Kopf schlagen musste: Wenn sie und diese Klara Wagner ein und dieselbe Person sein sollten, dann war sie Mutter und Witwe und alles andere als aufgeschlossen für die Avancen eines einzelgängerischen Gaúchos, der zu lange die Gesellschaft von schönen Frauen hatte entbehren müssen. Für ihn war ohnehin eine wie Josefina, eine heißblütige, temperamentvolle, freche Südamerikanerin, viel besser geeignet.
    Das Bild der rassigen Josefina lenkte Raúl einen Augenblick von dem Zeitungsartikel ab. Er legte die Füße auf den Tisch, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und genoss einen Schluck Whisky.
    Ob er endlich das tun sollte, womit ihm Teresa schon seit Ewigkeiten in den Ohren lag? Warum nicht? Josefina gefiel ihm. Sie konnte sicher eine ganz schöne Nervensäge sein, aber das würde sie bestimmt durch andere Qualitäten wettmachen. Meine Güte, allein, wie sie ihn mit Blicken liebkost hatte! Wenn sie dasselbe mit ihrem Körper tat, dann … ah, daran durfte er jetzt überhaupt nicht denken.
    Er verbot sich weitere erotische Gedankenspiele und kehrte zurück zu dem unerfreulichen Zeitungsartikel. Warum hatte er ihn eigentlich nicht früher gelesen? Am 20 . März war er doch bereits hier in Porto Alegre gewesen, und er hätte dieses Blatt, das er abonniert hatte, auf seinem Sekretär vorfinden müssen. Er überflog immer die Lokalnachrichten, und eine Meldung wie diese wäre ihm bestimmt nicht entgangen. Ob diese dämliche Aninha wieder die Zeitung zum Fensterputzen genommen hatte, obwohl er ihr eingeschärft hatte, sich nie, und zwar
nie
mehr an der ungelesenen Zeitung zu vergreifen? Er würde der Sache auf den Grund gehen, und wenn sich herausstellen sollte, dass sich

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