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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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stellte. Ja, das war ein Anfang für mein neues Zuhause. Ich betrachtete sie verträumt und ließ mich zu Hirngespinsten hinreißen, wie dereinst mein Haus aussehen würde.
    Dann hörte ich Hannes draußen fluchen. Ich straffte die Schultern und machte mich daran, die undankbaren Hühner für ihre Legefaulheit mit dicken gelben Körnern zu belohnen – Mais, wie Hellrich uns erklärt hatte. Diese Maiskörner sahen nahrhafter aus als so manches, womit wir im Hunsrück unsere knurrenden Mägen hatten füllen müssen.
    Vielleicht, dachte ich auf einmal, waren wir doch im Schlaraffenland gelandet.
    Für das Federvieh galt das allemal.

[home]
24
    T eresa hatte einen klebrigen Brei aus weißem Mais, Milch und Zucker gekocht. Er erschien Klara köstlicher als alle Süßspeisen, die sie je gegessen hatte. Er schmeckte nach Trost, nach mütterlicher Zuwendung, nach Liebe. Natürlich, das wusste sie selbst, war es nur ihr enormer Hunger, der sie mit solchem Appetit zulangen ließ. Sie bediente sich dreimal hintereinander. Teresa sah ihr wohlwollend zu. Es war doch sehr befriedigend, wenn mal jemand ihre Kochkünste zu würdigen wusste, auch wenn es sich nur um eine schlichte
canjica
handelte.
    Raúl saß unterdessen in seinem Arbeitszimmer und verwünschte sich dafür, dass er Klara zurückgeholt hatte. Die Polizisten hätten sich schon gut um sie gekümmert, und früher oder später wären sie, egal wie blöde sie sich angestellt hätten, dahintergekommen, was es mit der blonden Ausländerin auf sich hatte.
    Er hatte sich ernstliche Sorgen um sie gemacht. Eine junge Frau, die sich nicht auskannte und der Landessprache nicht mächtig war, konnte nicht ohne Schutz in der Gegend herumlaufen, schon gar nicht, wenn sie nicht einmal über Geld verfügte. Auch Teresa war am Morgen, als sie Klaras Flucht bemerkt hatten, außer sich gewesen vor Angst um ihren Schützling. »So tun Sie doch etwas, Senhor Raúl!«, hatte sie ihn unnötigerweise aufgefordert, denn er war bereits dabei gewesen, sich die Reitstiefel anzuziehen.
    Also war er losgeritten. Unterwegs hatte er sich immer wieder bei Passanten erkundigt, ob ihnen eine junge blonde Frau begegnet sei. Es war lächerlich einfach gewesen, ihre Spur zu verfolgen. Sie war wegen ihrer fremdländischen Erscheinung im Straßenbild so auffallend gewesen, dass praktisch jeder, den er fragte, sie gesehen hatte. Als er sie schließlich auf dem Revier eines der übelsten Bezirke der Stadt ausfindig gemacht hatte, hätte er sogleich umkehren und sie in der Obhut der Polizei lassen sollen. Er verstand nicht recht, was in ihn gefahren war, als er sich als ihr Dienstherr zu erkennen geben und sich wie ihr Vormund aufspielen musste.
    Ein Klopfen an der Tür zu seinem Arbeitszimmer riss ihn aus seinen Gedanken. Die Tür stand halb offen, und er sah, dass es Klara war, die ihn zu sprechen wünschte.
    »Entra«,
sagte er mit einem Winken, »komm rein.«
    Er wies auf den Stuhl gegenüber seinem Schreibtisch.
»Senta, por favor«
 – »nimm Platz, bitte.« Einen Augenblick fragte er sich, ob er sie nicht lieber siezen solle, immerhin war sie weder ein kleines Mädchen noch seine Angestellte. Und schon gar nicht sein Mündel. Dennoch brachte er es nicht über sich. Klara war nun seit Wochen bei ihm im Haus, nie hatte er sie anders betrachtet als eine Person, die jünger war als er, für die er verantwortlich war und die offensichtlich einen geringeren sozialen Status innehatte als er – alles gute Gründe, sie nicht zu siezen. Im Übrigen war es ohnehin gleich: Klaras fragmentarische Sprachkenntnisse erlaubten ihr noch gar nicht, den Unterschied zu erkennen.
    Klara setzte sich. Sie sah ihn ernst an. Anders als bisher sprachen aus ihrer Miene weder Ängstlichkeit noch Verwirrung. Sie wirkte entschlossen und gefasst. Durch diese Haltung, die Raúl so noch nie an ihr erlebt hatte, wirkte sie gleichzeitig viel erwachsener. Er hatte es nicht länger mit einer verstörten, bedeutungslosen Kolonistin zu tun, sondern mit einer Frau, die wusste, was sie wollte – wenngleich sie es noch nicht auszudrücken wusste. Trotzdem: Sogar die wenigen Worte, die sie auf Portugiesisch beherrschte, veränderten den Eindruck, den sie hinterließ, komplett. Hatte sich einem vorher zuweilen das Gefühl aufgedrängt, sie sei ein bisschen zurückgeblieben, so wäre man jetzt nicht mehr auf diese Idee gekommen. Unglaublich, dachte Raúl, wie die Beherrschung einer Sprache das Bild beeinflusste, das man sich von dem Sprecher

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