Das Mädchen Ariela
schrie er noch einmal. Aber sein Schrei ging unter in dem Gemisch aus Sand und Tränen, das seinen Mund verklebte. Er ging unter in dem Aufbrüllen, mit dem sich die Erde eine neue Wunde schlagen ließ.
Vor ihm, auf der Straße, hob eine feurige Riesenfaust den Wagen Arielas hoch und zerfetzte ihn in der Luft. Die Stücke fielen wie ein glühender Regen zurück in die Wüste und begruben Dr. Schumann und Ariela. Wie ein Wüstenwurm wühlte sich der Arzt in den Sand, ein breites Blechstück – es war der linke Kotflügel – fiel auf ihn und deckte ihn zu. Gepanzert wie eine Schildkröte lag er darunter und hörte schaudernd den Regen von Stahl, Feuer und Steinen, der auf ihn herunterprasselte und von seinem Blechpanzer abprallte.
Dann war auch das vorbei. Der Geruch von Schwefel und Benzin umgab ihn, er wühlte sich unter seinem Panzer hervor und hob den Kopf.
Ein formloser Klumpen versperrte die Straße. Ein rauchender Haufen aus Eisen und Holz. Davor, lang hingestreckt, die Arme ausgebreitet, lag Ariela. Sie lebte noch … ihre Beine in den zerrissenen Hosen schabten über den Sand.
Dr. Schumann versuchte aufzustehen. Wie ein Betrunkener taumelte er die paar Meter bis zu Ariela und stürzte dann neben ihr wieder in die Knie. Das Feuer der ägyptischen schweren Artillerie lag jetzt weiter hinter ihnen und schlug in die Felder des Kibbuz Qetsiot, pflügte den kargen Boden um, wirbelte Eukalyptusbäume durch die Luft und riß die Tamarisken aus der Erde. Ariela lag auf dem Rücken und sah ihn an. Von der rechten Schulter floß Blut in den Sand, die Khakibluse war bis zum Gürtel der Uniformhose aufgerissen, und ihre Brust war voller Staub und Blut. Er suchte in seinen Taschen, fand ein Taschentuch und drückte es auf die Wunde. Es war das einzige, was er tun konnte. Als die Granaten wieder näher kamen, legte er sich über Ariela und deckte sie mit seinem Körper zu.
»Peter …«, sagte sie leise. Er hörte es nicht, nur an der Bewegung ihrer Lippen sah er, daß sie seinen Namen sprach. Er legte sein Ohr an ihre Lippen. »Es mußte so kommen … Ich wußte es …«
»Du lebst. Mein Gott, du lebst, Ariela.«
Die Feuerwalze ging vorbei. Ganz in der Ferne detonierten Bomben. Er fühlte, wie sie nach ihm tastete, und legte ihre linke Hand auf seine Schulter. So lagen sie im Sand, inmitten von Granaten und Vernichtung. Blut rann neben ihrer Schulter in den Sand. Regungslos lagen sie nebeneinander in zerfetzter Kleidung.
»Leb wohl«, flüsterte sie an seinem Ohr. »Leb wohl, Peter! Gott schütze dich. Schalom …«
»Du lebst!« Dr. Schumann richtete sich auf. Von seinem Zelt war nichts mehr zu sehen, die Sandsackbarrikade war wie umgeweht. Wie zum Hohn stand in einer Mulde sein Jeep mit flatterndem, zerrissenem Verdeck. »Ich bringe dich weg. Kannst du die Beine bewegen, Ariela? Hast du Gefühl in den Beinen?«
Sie sah ihn aus großen Augen an und streichelte über sein Gesicht. »Ich liebe dich«, sagte sie müde. »Ich liebe dich. Ich bin so glücklich …«
Ihr Kopf sank zur Seite, die Augen schlossen sich, aber das Lächeln blieb auf ihren Lippen.
Er stand auf, schob die Arme unter ihren Körper und hob sie hoch.
Nach ein paar Schritten schlugen wieder Granaten um ihn ein. Vereinzelt nur, weit verstreut, so, als schössen die Ägypter planlos in die Gegend, nur um zu schießen und das Gefühl zu haben, sich zu wehren.
Da begann er zu rennen, preßte Ariela an sich und stolperte zu seinen umgerissenen Sandsäcken. Sein kleines transportables Labor war zerstört, das Zelt vom Luftdruck weggerissen. Zwischen umgestürzten Tischen, Gläsern, Kolben und Retorten, in dem Gewirr von Kisten und Kartons lag Joppa, das Äffchen. Ein losgerissener Kistendeckel hatte es erschlagen. Mit ausgestreckten Gliedern, wie eine weggeworfene Puppe, lag es neben dem umgestürzten Bett, die Zähne bleckend, als habe es die Granaten angefaucht, die über das Zelt gerauscht waren.
Dr. Schumann legte Ariela auf die Sandsäcke und wühlte eine Kiste aus dem Schutt. Es war die Verbandskiste, und sie war unversehrt. Er reinigte die Schulterwunde und sah, daß sie harmlos war. Nur der Blutverlust war groß. Dicke Lagen blutstillender Watte preßte er darauf und umwickelte die Schulter mit einem breiten Verband. Dann zog er die Bluse über Arielas Brüste, nahm zwei Wundklammern und hielt mit ihnen den Riß zusammen.
Schlagartig hörte das Artilleriefeuer auf. Es war der Augenblick, da die israelischen Panzerspitzen die
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