Das Mädchen Ariela
sagte er dann. »Er führt den zweiten Angriff. Leb wohl, Ariela.«
»Leb wohl, Moischele …«
Dann trafen sie sich, Oberst Golan und seine Tochter, nachdem Major Rishon weitergefahren war.
Der Oberst stand in der offenen Luke seines Befehlspanzers, hatte die Kopfhörer hochgeschoben und blickte zu seiner Tochter hinunter. Ariela saß im Wagen und lachte zu ihm hinauf. Ihr Gesicht war glücklich und von einem fraulichen Leuchten.
»Du bist verwundet?« rief Oberst Golan aus der Luke. Der Panzer dröhnte. Die Kolonne stockte.
»Ja, Vater!«
»Schwer?«
»Nein.«
»Laß es dir gutgehen, Ariela!«
»Danke, Vater.«
Oberst Golan wandte den Kopf zu Dr. Schumann. »Sie sorgen für Ariela?«
»Ich möchte sie nach Jerusalem mitnehmen, wenn es möglich ist …«
»Ich werde per Funk in Beersheba anordnen, daß man Ihnen die Verlegung genehmigt. Ich danke Ihnen, Doktor.«
»Es ist selbstverständlich, Oberst.« Oberst Golan sah zurück. Die Panzer waren aufgefahren. Fünf Minuten Aufenthalt … das war schon zuviel. In fünf Minuten kann man fünfzig Meter erobern.
»Auf Wiedersehen, Ariela!« rief er und hob die Hand grüßend an seine Mütze.
»Gott mit dir, Vater!« Sie hob die Linke und grüßte zurück.
»Schalom …«
Der Panzer fuhr an. Die schweren Motoren heulten. Staub wirbelte auf, über Schumann, Narriman und Ariela. Als er sich verzog, als sie die brennenden Augen wieder öffnen konnten, war Oberst Golan in der Masse der stählernen Riesen verschwunden, über denen die Sonne wie in Nebeln schwamm.
»Schalom«, sagte Ariela leise. Dann wandte sie sich ab, legte sich hin und deckte ein Tuch über ihr Gesicht.
Niemand sollte sehen, daß sie weinte.
Nach einer Stunde erreichten sie Beersheba.
Auf den Straßen tanzten Männer und Frauen, umarmten und küßten sich. Radios standen in den Fenstern. Eine ganze Stadt berauschte sich an den Worten, die aus dem fernen Jerusalem in die Wüste drangen.
»In der Altstadt wird erbittert gekämpft. Der Tempel Salomons liegt vor unseren Augen. Die Klagemauer. Mann gegen Mann wird gekämpft, mit Bajonetten, mit Messern, mit den Kolben, mit Händen und Zähnen! Mit unseren Leibern pflastern wir den Weg zur heiligen Mauer. Hedad! Hedad! Die Stadt Davids muß unser sein!«
In einer Haustür saß ein uralter Mann, weinte und betete.
Narriman sah Dr. Schumann von der Seite an. Ihr Blick war hart. Ich werde nicht von deiner Seite weichen, dachte sie. Das Volk der Juden siegt. Jetzt brauchen wir dich, um zu überleben. Dich und deinen geheimnisvollen ›stillen Tod‹.
In Beersheba erwartete man sie bereits. Oberst Golan hatte den Funkspruch durchgegeben. Mit einem Lazarettwagen wurde Ariela nach Jerusalem gebracht. Die Sanitätskommandantur bestand darauf, daß Ariela von jetzt an fachgerecht transportiert wurde. Dr. Schumann wurde erlaubt, hinterherzufahren. Narriman erhielt, weil sie Feldwebel Ruth Aaron war, den Befehl, an die Front zurückzu kehren und sich in Bir Paqua zu melden.
»Ich fahre mit Ihnen nach Jerusalem«, sagte Narriman, als er ihr den Wagen zurückgab und sich von einem Lastwagen mitnehmen lassen wollte, der Nachschub heranbrachte. Aus dem Radio tönten immer neue Siegesmeldungen auf die Straße. 350 Flugzeuge vernichtet. Drei Stoßkeile von Panzern erobern die Wüste Sinai. Gaza unter schwerem Beschuß. Jerusalem bald frei. Das Herz Narrimans erstarrte. Ihr Mund lächelte zwar, aber ihre Seele war tot. Die Schmach, die den Arabern zugefügt wurde, war unerträglich.
»Kommen Sie, Doktor. Wir fahren voraus. Wenn Ariela in Jerusalem eintrifft, sind Sie schon gebadet, rasiert, neu eingekleidet. Fein, wie ein Bräutigam sein soll!«
»Aber das geht doch nicht!« Dr. Schumann sah auf den Sanitätswagen, der gerade aus dem Hof fuhr. Mit zehn anderen Verwundeten wurde Ariela auf Tragbahren befördert. Es war ein großer Lastwagen, der besonders gut gefedert war. »Ihr Befehl?«
»Wir sind keine Preußen!« Narriman legte die Hand auf Schumanns Schulter. »Steigen Sie ein. Ich habe in Jerusalem zu tun, also fahre ich dorthin.«
»Das kommt mir merkwürdig vor, Fräulein Aaron. Ich kenne die eiserne Disziplin der Armee.« Dr. Schumann blickte Narriman fragend an. »Sagen Sie … begleiten Sie mich im Auftrag von Major Rishon?«
Narrimans Lächeln verstärkte sich. Sie wußte nicht, wer Rishon war, aber sie ahnte, daß er eine große Rolle spielen mußte.
»Fragen Sie nicht«, erwiderte sie. »Fahren wir.«
»Nun gut.« Schumann ließ sich in
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