Das Mädchen Ariela
Gang alt, und Mahmud ibn Sharat verdankte ihm ein Vermögen. Er hatte ihn damals auf eigene Kosten bauen lassen und dann mit dem Sinn des Orientalen für Handel und Gewinn gewissermaßen an den jordanischen Staat vermietet.
»Mein Gang ist die einzige sichere Möglichkeit, von Jordanien nach Israel zu gelangen«, hatte er gesagt. »Uns braucht kein Vertrag, keine UNO, keine Waffenstillstandslinie zu kümmern. Wir können Saboteure mit allen Geräten hinüberbringen, Agenten können hin und her reisen. Wo gibt es das sonst noch?«
In der alten haschemitischen Königsstadt Amman sah man das ein. Eine Gruppe Offiziere besichtigte den Gang, legte mehrmals den Weg zwischen Mea Shearim und einer kleinen winkligen Straße in der Nähe der Djaulana-Moschee zurück und erklärte diesen Gang zum Staatsgeheimnis.
Mahmuds große Stunde kam. Unter militärischem Schutz wickelte er unterirdisch seine Geschäfte ab. Perlen und Goldwaren, Edelsteine und Teppiche wurden nach Israel getragen … Medikamente, chemische Waren und optische Artikel schmuggelte man nach Jordanien. Das alles geschah unter dem Mantel ›Staatsgeheimnis‹. Niemand durfte kontrollieren, was Mahmud oder seine Leute hin und her schleppten. Natürlich tastete sich auch ab und zu ein Agent durch den glitschigen, modrig riechenden Felsengang. Vor allem kurz vor Ausbruch des Krieges war der Gang belebt wie eine Straße, aber in der Hauptsache diente er Mahmuds Privatgeschäften. Vom jordanischen Staat erhielt er für die Pflege dieser unterirdischen Straße jährlich 3.000 Dinare. Sie waren für Mahmud eine Art Taschengeld, verglichen mit dem, was er sonst einnahm, aber sie reichten aus, seinen Lieblingsfrauen im Harem bei Amman seidene Kleider zu kaufen und die neueste Errungenschaft westlicher Industrie: künstliche, immer blühende Blumen aus Plastik und Schaumgummi. Als Mahmud mit ihnen zum erstenmal im Harem erschien, hallte Jubel durch die prunkvollen Räume mit den kleinen marmornen Brunnen, in denen duftendes Wasser die heiße Luft kühlte und den Geruch der Wüste verdrängte.
Mahmud war sehr zufrieden mit sich und seinem Leben.
In dieser Nacht aber war er unzufrieden. Er hatte mit seinem sandgefüllten Strumpf Dr. Schumann niedergeschlagen, er hatte ihn ins Zimmer geschleift und in einer Aufwallung seiner arabischen Seele angespuckt. Daß der Krieg gegen Israel ganz anders verlief, als 99 Millionen Araber gehofft hatten, erschütterte Mahmud weniger als der Verlust, den er sich ausrechnete, wenn der Krieg tatsächlich verlorenging. Trotz der wenigen Stunden des Kampfes zeichnete sich das schon ab, Radio Amman und Radio Kairo berichteten stündlich darüber … auch über die Sympathie, die man den Juden in der ganzen Welt entgegenbrachte, vor allem im Westen.
»Lassen Sie!« sagte Narriman streng, als Mahmud sich anschickte, Dr. Schumann noch einmal anzuspucken. »Und legen Sie den Strumpf weg. Es genügt so.«
»In mir quillt Haß hoch, Narriman!« Mahmud setzte sich neben den Körper des deutschen Arztes. »Haben Sie die Meldungen aus Jerusalem gehört? Sie marschieren zum Suezkanal! Sie reißen die Sinaifront auf. Sie rücken auf Akaba vor. Warum schweigt Allah?«
Narriman sah Dr. Schumann an. Sein in der Ohnmacht noch erstauntes, ja verblüfftes Gesicht faszinierte sie. »Ist alles vorbereitet?« fragte sie.
»Hier ja! Was drüben ist … wer weiß es?« Mahmud klopfte mit dem sandgefüllten Strumpf auf seine Knie. »Es kann sein, daß die Juden schon im Haus sitzen, wenn wir aus dem Gang kommen. Ich weiß, daß zwischen der Salomon-Straße und der Via Dolorosa erbittert gekämpft wird. Mit Bajonetten sind sie aufeinander losgegangen wie in alten Zeiten!«
»Wir müssen durch nach Amman!« Narriman beugte sich über Dr. Schumann und schob sein linkes Augenlid hoch. »Wie fest haben Sie zugeschlagen, Sie Esel?«
»Ich habe ihn nur angetippt, Narriman. Sie haben einen schwachen Kopf, diese Wissenschaftler.«
»Los dann!« Narriman bückte sich und nickte Mahmud zu. Sie faßten ihn unter die Schultern und schleiften ihn die Treppe hinunter zu einem kleinen Keller, dessen Eingang durch einen Teppich verdeckt war. Hier schloß Mahmud eine Stahltür auf, ließ eine Taschenlampe aufleuchten und richtete den Lichtstrahl nach unten. Zehn in Stein gehauene Stufen führten noch tiefer, und dort begann der gewölbte, durch den Fels gebrochene Gang. Kühle und Modergeruch wehte ihnen entgegen. Irgendwo mußte der Gang an einer Wasserader vorbeiführen.
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