Das Mädchen Ariela
Schüssel mit dem dampfenden Hammelfleisch zu. »Dann werden wir längst in Amman sein, und Sie werden in einem gut temperierten Zimmer wohnen und den Mond bewundern, wie er, einer silbernen Scheibe gleich, über den beiden Minaretten und der Kuppel der El-Hussein-Moschee steht.« Sie goß Wein in die silbernen Becher und dachte dabei, wie heuchlerisch doch Mahmud war, der nach dem Glauben des Propheten keinen Alkohol trinken durfte, es aber doch tat, wenn kein Etikett auf der Flasche war. »Mich überrumpelte die Unwissenheit«, sagte er dann später. »Und Allah ist mit den reinen Seelen …«
»Essen Sie, Doktor. Noch haben wir genug. Ich fürchte aber, daß es Tage dauern wird, ehe wir über den Jordan kommen.« Sie hob den silbernen Becher, Mahmud ergriff den seinen.
»Tod allen Feinden Jordaniens!« sagte er laut und sah dabei Schumann scharf an.
»Ich trinke auf den Frieden!« sagte Schumann.
Mahmud schüttete seinen Wein zur Seite auf den Boden, stand auf und ging. »Ich esse, wenn die weiße Pest nicht meinen Atem vergiftet!« rief er über die Schulter. »Ich sehe mich um.«
Narriman hob die Schultern, als Schumann zögernd zugriff. Man aß mit den Fingern, drehte aus dem Mais kleine Klößchen und wälzte sie in dem Hammelgulasch. Dann schob man alles in den Mund und kaute mit vollen Backen.
»Er ist ein Hohlkopf«, sagte Narriman. »Aber er ist ein großer Patriot. Und seine Verbindungen sind unbezahlbar. Hören Sie nicht auf ihn. In Amman werden wir ihn nicht mehr sehen. Da hat er seinen Harem. Er war drei Monate nicht mehr zu Hause …« Sie lächelte vielsagend, und Schumann beugte sich über die Maisschüssel, um ihre glänzenden, lockenden Augen nicht sehen zu müssen.
Sie aßen schweigend. Mahmud unterrichtete sich unterdessen über die Lage am Jordan. Sie war trostlos. Ungefähr dreißigtausend Flüchtlinge aus Jerusalem und Ramallah stauten sich am Fluß. Die einzige Brücke, die Allenby-Brücke, war von Bomben zerstört. Die Eisenträger lagen im Fluß wie ein auseinandergeplatztes riesiges Gerippe. Man hatte Holzbohlen über die Trümmer gelegt, schmale, schwankende Bretter, und hier balancierten die Flüchtlinge hinüber, Schritt für Schritt tasteten sie sich nach Jordanien hinüber, das nun Freiheit und Heimat bedeutete und ihnen doch nichts zu bieten hatte als Hunger, Durst, Armut, Krankheit, Elend und Not. Und Haß! Haß auf Israel!
Das war mehr als Milch und Honig! Das war Nahrung für viele kommende Generationen …
Während Mahmud das alles erfuhr, während er den Israelis zusah, wie sie um hohe Feuer saßen, lachten und sangen und mit den uniformierten Mädchen der weiblichen Verbände tanzten, saßen Narriman und Dr. Schumann nebeneinander vor dem Stall und blickten in die Nacht.
Sie saßen ganz nahe beieinander, denn die Handfesseln Schumanns waren mit dem rechte Handgelenk Narrimans verbunden. Links neben ihr lag unter einem Wollschal eine Pistole. Dr. Schumann hatte schwach gelächelt, als er sie sah.
»Sie haben Angst, Narriman?«
»Sie brauchen nur um Hilfe zu rufen! Die Israelis sind keine fünfzig Meter weit entfernt.«
»Ich weiß. Dort steht ein Lastwagen. Zwischen Haus und Gartenmauer. Ah, sehen Sie … man macht Licht!«
Unter der aufgeschlagenen Plane des israelischen Lastwagens flammte das Licht aus zwei Batteriescheinwerfern auf. Vier Mädchen in Uniform saßen auf einer Holzbank, eine fünfte hielt die Lampen. Die vier Mädchen saßen hintereinander in einer Reihe, jede kämmte die Haare der vor ihr Sitzenden. Nur die Vorderste hielt einen Spiegel vor das fröhliche Gesicht und zog mit einem Lippenstift sorgfältig die Konturen ihrer vollen Lippen nach.
»Sie machen sich hübsch«, sagte Narriman leise. »Sie haben den Krieg überlebt, nun stürmen sie das Leben! Gleich werden sie mit den Männern singen und tanzen …« Sie zog an der Fessel Schumanns. Er blickte sie an. »Unsere Sonne ist eine Sonne ständiger Liebe …«
»Ich weiß es«, sagte Dr. Schumann.
Die Mädchen waren fertig mit dem Kämmen. Im Schein der Batterielampen saßen sie nun alle vor ihren Handspiegeln, schminkten sich die Lippen, zogen Lidstriche und umrandeten sich die Augen.
Narriman legte den Kopf auf Schumanns Schulter. Ihr schwarzes Haar roch nach Rosenöl. Es war, als breche eine Riesenblume auf und verströme ihren Duft.
»Ich kann Ihnen die Fesseln aufschließen«, sagte sie leise. Ihre Stimme war wie ein sanfter Wind, der über seine Wange strich.
»Ich könnte
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