Das Mädchen Ariela
einmal dabei. Nur das zählt …
Im Hause des Flötenspielers Ali fühlte sich Dr. Schumann bald sehr wohl, trotz Schweineurin, Hühnerdreck und Lammgemecker. Sein Bett bestand aus aufeinandergeschichteten Teppichen, und Ali, der Schumann schon gleich am ersten Abend auf der Flöte ›Die Fahne hoch‹ vorblies und »Deutschland Freind, Deutschland gutt!« sagte, tat alles, um Schumann den Aufenthalt angenehm zu machen. Nachdem er zehn Dinare bekommen hatte, ging er einkaufen und kam mit Büchsen, Tüten und einer Flasche Wein zurück. Jeden Morgen holte er auch eine in englischer Sprache gedruckte Zeitung, mit der sich Schumann den ganzen Tag über beschäftigte. Er las sie vom Zeitungskopf angefangen bis zum letzten Buchstaben der Anzeigen. Ali hatte ihm dafür einen Platz in einer Art Innenhof zugewiesen. Es war ein Viereck mit einem Stück Himmel darüber, aber auch alle Tiere des Hauses schienen lufthungrig zu sein und versammelten sich hier um Dr. Schumann. Von zehn Uhr vormittags bis sechs Uhr abends war Ali unterwegs. Da er nicht mehr Flöte spielen konnte mangels Zuhörer, half er jetzt auf dem Flugplatz beim Entladen der Maschinen, die Lebensmittel und Medikamente aus den neutralen Ländern brachten. Noch nie war es Ali so gut gegangen wie in diesen Tagen; was er alles auf dem Flugplatz stahl, zur Seite schaffte und abends mit seinem Esel abholte, war ein Glanzstück orientalischer Organisationskunst. Er brachte sogar eine wohlsortierte Medikamentenkiste mit und sagte zu Dr. Schumann: »Du Hakim! Bittä … Penicillin …«
»Es ist unwahrscheinlich!« sagte Schumann, als er die Kiste öffnete. »Und in den Flüchtlingslagern am Jordan haben sie nicht einmal Seife …«
Am vierten Tag seiner Flucht las Schumann wie immer gründlich die Zeitung, die einzige geistige Tätigkeit, die er noch ausdehnte, indem er sich selbst die Artikel laut vorlas. Plötzlich stockte er. Einen Augenblick stand sein Herz still, um dann wie ein Hammer gegen die Brustwand zu schlagen.
Eine Anzeige auf der vierten Seite.
Eine ganz normale Anzeige, wie sie in allen europäischen Zeitungen zu Hunderten steht – aber hier, in Amman, war sie völlig fehl am Platze, und deshalb warf sie Schumann nieder wie ein Hieb.
Die Anzeige lautete:
»Ein schönes, reines Lämmchen zugelaufen.
Wer vermißt es? Es hat auf dem linken Beinchen
einen kreisrunden kleinen Leberfleck.
Der Besitzer soll sich melden bei Mahmud ibn Sharat.«
Weiter nichts. Aber Dr. Schumann verstand die Anzeige. Nur glaub te er sie nicht. Das ist eine Falle, dachte er. Das ist eine plumpe, ge meine Falle. Es ist völlig unmöglich, Ariela aus Jerusalem wegzulocken! Und wie soll sie über den Jordan kommen? Eine lächerliche Falle ist das!
Aber je länger er darüber nachdachte, je öfter er die Anzeige las, um so unsicherer wurde er.
Woher kannte Mahmud Arielas Leberfleck oben am Schenkel? Als Schumann ihn entdeckte, hatte sie gesagt: »Du bist der erste, der ihn sieht. Und du sollst der letzte sein …«
Ein kreisrunder Leberfleck …
Schumann zerknüllte die Zeitung und preßte sie gegen sein hämmerndes Herz. Sein Hirn sagte ihm: Wirf die Zeitung weg, und vergiß die Anzeige … sein Herz aber drängte ihn, sofort auf die Straße zu laufen und den Dschebel hinaufzurennen zu dem Haus, aus dem er geflüchtet war.
Den ganzen Tag lief er herum, immer in dem Viereck des kleinen Innenhofes, und die Hühner umgackerten ihn, die zwei Ferkel grunzten und das Milchschaf stieß nach ihm.
Als Ali vom Flugplatz zurückkam, den Esel hoch beladen mit Kartons voll Gulasch und Milchpulver, war Dr. Schumann nicht mehr da. Zehn Dinare lagen auf dem kalten Ofen, und Ali lobte Allah, daß es noch ehrliche Menschen gab.
Die Sonne ging blutrot hinter dem Dschebel Amman unter, als Dr. Schumann an der geschnitzten Tür des Hauses auf dem Dschebel El Luweibida klopfte. Narriman selbst öffnete ihm, stieß die Tür weit auf und lächelte ihn an wie einen lieben, lange erwarteten Gast.
»Ich wußte, daß Sie sofort kommen würden, Doktor«, sagte sie. »Willkommen! Der Tisch ist gedeckt. Es gibt gefüllte Auberginen in Cremesoße.«
»Wo ist Ariela?« keuchte Dr. Schumann. Er war das letzte Stück den Berg hinaufgestürmt.
»Bei Mahmud. Wir fahren nachher hin. Aber erst essen wir. Ich kann mir denken, daß Sie in den letzten vier Tagen nicht standesgemäß gelebt haben.«
Sie warf die Tür hinter ihm zu, lächelte ihn groß an und hakte sich bei ihm unter.
»Sie sehen blaß aus!
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